Wenn einer eine Reise tut

Mit nun immerhin 31 Jahren bin ich recht tolerant geworden. Aber es gibt noch immer Dinge, mit denen ich nicht kann. Und negative Reiseberichte über mein Japan gehören definitiv dazu. Nun ist es eine Sache sich freundlich über die Eigenarten der Japaner zu unterhalten. Aber die ganze Reise „Scheiße“ zu finden, zeugt von keinem guten Stil. Und klar, immer waren die Japaner schuld. Wer macht schon eigene Fehler?

Wir sind auf der Rückreise aus Japan. Zum Glück haben wir auch in diesem Urlaub wieder Business-Class gewählt. So reist es sich besser und Geld ist nicht alles. Aber ich habe die Reise ohnehin nicht bezahlt. Ein Vorteil, wenn man erfolgreiche Eltern hat, die das dann unter Geschäftsausgaben buchen können. Oder besser gesagt ich. Immerhin berate ich meinen Vater ja nun. Aber selbst Mehrwert schützt vor Dummheit nicht, wie wir bemerken dürfen.

Schräg vor uns sitzt ein älterer Herr. Bewusst verzichte ich auf die Nationalität. Aber der Mann spricht Deutsch, wenn auch mit starkem Akzent.
„So eine Scheiße“, hat er gesagt und uns direkt angesprochen. „Die wollten bei der Einreise wissen, was ich an Geld mitführe. Das geht die doch nichts an!“
„Die“, das ist der japanische Zoll und „der“ hat nur seine Pflicht getan. Höflich wie immer, aber ihm Rahmen der Gesetze. Auch wir mussten Rede und Antwort stehen. Was ist schon dabei?

Der Mann sieht das anders und lässt sich weiter negativ darüber aus. Einige deutsche Worte haben uns verraten. Im Normalfall sprechen wir auf Flügen nur Japanisch. Kein Fehler, aber wir werden in Zukunft wieder darauf achten. Inkognito reist es sich oft besser.
„Es geht um Devisenkontrolle und Geldwäsche“, erkläre ich ihm. „Und das ist nicht nur in Japan so.“
„Alles Käse!“, regt der Mann sich weiter auf. Er ordert Nachschub an Wein bei der Stewardess und prostet uns dann zu. „Wie kommen Sie denn mit den Japanern klar?“, will er wissen und mustert uns gierig. „Sind Sie aus Thailand? Ich finde ja Thais unheimlich hübsch! Ich muss da mal wieder Urlaub machen …“
Er lacht bei diesen Worten und leckt sich die feisten Lippen.
„Wir sind in Japan geboren“, erwidere ich beherrscht. „Man könnte also durchaus sagen, dass wir Japanerinnen sind.“
Seine Kinnlade klappt nach unten. Clever sein ist anders.

„Auch gut“, erwidert der Mann dann lapidar. „Was haben Sie denn da gemacht?“
„Das nennt sich Urlaub“, sage ich und lächle ihn an. „Und den haben wir immer noch.“
Demonstrativ setze ich mir die Kopfhörer auf. Yuki schaut schon komisch.
Trotz der Musik höre ich die Stimme des Mannes, der nun über das japanische Wetter schimpft.
Natürlich war es entweder zu kalt, zu regnerisch, oder viel zu warm. Und das ist dem Mann aus den Bergen angeblich fremd.
Lügen haben kurze Beine. Und seine sind nicht sonderlich lang.

Yuki schaut mich fragend an, aber ich schüttele nur leicht den Kopf.
Aber Hilfe kommt von anderer Seite, von einem jungen Mann.
„Könnten Sie bitte leise sein?“, sagt er in akzentfreiem Deutsch.
Auch er ist Japaner, das erkenne ich sofort.
Seine Augen funkeln, er ist sichtlich genervt.
„Man wird sich doch noch unterhalten dürfen“, poltert der Angetrunkene. „Ich …“
„Niemand möchte ihre schlechte Laune hören“, wird er von dem Japaner unterbrochen. „Behalten Sie die für sich!“
Ich bin erstaunt. Endlich klare Worte!

Der Mann murmelt etwas und ordert das nächste Glas Wein.
In Vino Veritas. Aber wer will schon seine Wahrheit hören?
Eine Weile herrscht Ruhe. Yuki blättert in einem Buch und ich döse vor mich hin.
Der Urlaub war toll und leider viel zu kurz. Wie immer, wenn ich aus Japan komme, fühle ich eine Art Leere in mir.
Meine Eltern bleiben noch länger. Sie haben uns die Reise bezahlt, die Geschäfte liefen gut. Damit das so bleibt, muss mein Vater sich eine Weile in Japan darum kümmern. Aber den 370 Z in Rot hat er versprochen. Natürlich als Tuning-Modell. Und nein, ich habe nicht danach gefragt. Schuld ist mein Schwiegervater. Unsere Väter haben sich das fein ausgedacht.
„Damit ihr immer schnell bei uns seid“, war ihr gemeinsamer Kommentar.
Humor, den Männer meinen.

„Das muss man sich mal vorstellen“, beginnt der Mann erneut seine Litanei. „Da habe ich diesen Termin mit dem Japaner und dann lässt der Kerl mich einfach warten! So eine Frechheit gäbe es in Europa nicht, ich habe meine Zeit doch nicht gestohlen!“
Unaufgefordert erzählt er das seinem Nachbarn, der ihn gekonnt ignoriert.
Der junge Japaner presst die Lippen zusammen. Ich kann das Zeichen deuten. Das riecht nach Ärger und den muss ich nicht haben. Aber scheinbar ziehe ich ihn magisch an.
Das Essen wird serviert und der Mann schimpft nun über japanische Tischsitten und wie ekelhaft er die doch fände. Fleischbrocken fallen dabei aus seinem Mund und beschmutzen seine Hose.
„Bisher wusste ich nicht, dass Schweine auch fliegen können“, sage ich auf japanisch. „Aber heute, werde ich eines Besseren belehrt.“
Yuki feixt und knufft mich in die Seite. Auch der junge Japaner lacht.
Der Pöbler hat nichts verstanden. Streit suchen immer nur die anderen.

„Diese Stäbchen in Japan sind einfach nur daneben!“, wettert der Mann bereits weiter. „Wie soll man da seine Mahlzeit essen?“
„Indem man weniger schimpft und die Sitten lernt“, sage ich scharf. „Mit Stäbchen zu essen ist nun wirklich nicht schwer. Aber manche Leute können das nicht einmal mit Messer und Gabel.“
Der Mann schweigt verblüfft. Das hat er nicht erwartet. Stumm stopft er sich sein Essen in den Mund und ordert noch mehr Wein.
Der löst schon bald seine Zunge wieder und das Gemotze geht weiter.
Nun ist ihm auch der Flug zu lang. „Nie wieder reise ich nach Japan“, tobt er. „Die sollen ihre Geschäfte in Zukunft ohne mich machen. Mein Geld ist viel zu schade für dieses Volk.“
Taler, Taler du musst wandern!

Als der Mann sich wieder seinem Wein hingibt stehe ich auf und gehe zur Stewardess.
Die Frau ist besorgt, sie hat das Problem erkannt. Ärger im Flugzeug muss niemand haben.
Sie ruft nach einer Kollegin, die hier das Sagen hat. Die Frau hört zu und nickt.
Situationen wie diese kommen selten vor. Aber es gibt sie leider immer wieder.
„Wir kümmern uns darum“, sagt die Stewardess und verbeugt sich vor mir. „Vielen Dank für die Hilfe.“
Muss ich immer alles machen?

Auf dem Weg zu Yuki höre ich den Mann bereits wieder lamentieren. Nun hat er den japanischen Verkehr im Visier und dass Japaner auf der „falschen Straßenseite“ fahren.
„Ich würde das sofort ändern“, tönt er. „Wie funktioniert das überhaupt?“
„Indem man es versucht“, unterbreche ich ihn und bedeute dem jungen Japaner sich nicht weiter einzumischen.
„Ruhig bleiben“, sage ich leise. „Wir dürfen uns nicht provozieren lassen.“
Er ballt die Fäuste. Etwas sagt mir, dass er Kampfsport macht. Aber eine Prügelei im Flieger wird ihm zum Nachteil gereichen, auf keinen Fall darf er sie beginnen.
„Er hat Japan schon wieder beleidigt“, sagt er. „Das kann ich nicht ertragen!“
„Der Mund ist das Tor des Unglücks, die Zunge seine Wurzel“, zitiere ich. „Aber es liegt nicht an uns, diese Wurzel auszureißen.“
Verblüfftes Schweigen schaut mich an und Yuki drückt meine Hand.
Im Alter werde ich noch weise.

Ich spreche auf Deutsch weiter und fange ein Gespräch über die Schönheit Japans an.
Der junge Mann versteht und schlägt in die gleiche Kerbe. Er stellt sich als Daisuke vor und ist in Deutschland geboren.
„Ich lebe in Düsseldorf“, sagt er. „Kennen Sie die Stadt?“
„Da bin ich aufgewachsen“, erwidere ich. „Aber jetzt lebe ich in Stuttgart bei meiner Frau.“
Daisuke verzieht keine Miene, er nickt Yuki nur freundlich zu. Homophob ist er zumindest nicht.
„Ich habe meinen Onkel besucht“, erzählt er weiter. „Der ist ein Meister im Karate. Er sagt ich sei schon richtig gut!“
Was zu beweisen wäre.

Der Betrunkene brabbelt etwas vor sich hin. Ich verstehe „Schlitzaugen und Lesben“ und hole tief Luft. Aber eingreifen muss ich nicht.
Wie aus dem Nichts steht ein Mann in Uniform neben uns und spricht den Pöbler auf Englisch an.
Der wird sehr schnell sehr still, als er den Kapitän erkennt. Die Androhung der Notlandung mit voller Kostenübernahme hat gefruchtet.
Der Kapitän wendet sich noch kurz an den jungen Japaner, der noch immer zornig ist. Auch er wird beruhigt, dann spricht der Kapitän mit mir.
„Vielen Dank für die Hilfe,“, sagt er auf Japanisch. „Aber lassen Sie sich bitte nicht weiter provozieren und ignorieren Sie den Mann. Man wird sich bei der Landung um ihn kümmern.“
Ich deute aus dem Fenster.
„Auf die Notlandung wäre ich gespannt.“
Der Kapitän deutet ein Lächeln an.
Wir haben uns verstanden.

Der Rest der Reise verläuft ruhig. Der Wüterich ordert nur noch Kaffee und schweigt eisern.
Wir unterhalten uns ein wenig mit Daisuke. Er ist erst 19 Jahre alt und wirklich nett. Und eine deutsche Freundin hat er auch.
„Leider konnte sie nicht mit nach Japan“, sagt er traurig. „Ich vermisse sie sehr.“
Noch einmal fängt er mit Karate an und wie sehr er diesen Sport liebt. Wettkämpfe will er machen und Deutscher Meister werden.
Yukis schelmisches Lächeln kann er nicht deuten.
„Es ist nur ein Titel“, sage ich. „Und der bedeutet nichts. Karate hat nichts mit Wettkämpfen zu tun, der Geist dahinter ist so völlig anders.“
Engeistert schaut er mich an.

„Das hat mein Onkel auch gesagt“, sagt er betroffen. „Aber woher wissen Sie das?“
„Ach ich mache auch so ein bisschen Karate“, erwidere ich. „Die Wettkampfbühne habe ich in Ihrem Alter verlassen. Damit habe ich den wahren Sieg errungen, über die Eitelkeit und den Stolz.“
Daisuke ist erstaunt, aber wenig überzeugt. Die Ungeduld der Jugend brennt lichterloh in ihm.
Ich kann mich gut erinnern.
Im Verlauf des Gesprächs kommen meine Gürtel auf den Tisch und Daisuke sinkt förmlich im Sitz zusammen.
Er wird sehr still und beißt sich auf die Lippen.
Yuki zwickt mich, sie hat sichtlich Spaß.
Hat Daisuke etwa Angst vor mir?

Eigentlich wäre die Geschichte nun hier zu Ende. Aber in jedem Drama gibt es einen zweiten Akt.
Bei der Landung in Frankfurt verlässt der Pöbler wortlos die Maschine und wird noch auf der Gangway von zwei Beamten in Empfang genommen. Damit hat er nicht gerechnet.
Auch Daisuke verlässt den Flieger und verbeugt sich vor mir.
Seine Form der Entschuldigung.
„Auf Wiedersehen“, sagt er leise. „Ich habe wieder etwas gelernt. Vielen Dank dafür.“
Japaner haben einfach die besseren Manieren.

Hier endet die Reise nach Japan nun für den Moment. Ich hoffe, dass sie meinen LeserInnen gefallen hat. Es war ein etwas anderer Reisebericht. Ohne Fotos und ohne die üblichen Beschreibungen der Natur. Dafür mit Bildern, die ich vermitteln wollte. Und das ist mir hoffentlich gelungen.