Der Held

Jack war aufgeregt, als er an diesem Morgen nach Braxton fuhr. Immerhin würde er den größten Helden des letzten Krieges treffen. Er, Jack, der kleine Reporter und nicht Paul oder John, die vor Neid fast platzten.

Bill, der Chefredakteur hatte Jack am Vortag ins Büro gebeten und ihm die Offerte gemacht. „Ich will, dass du da hin fährst und dir alles, aber auch wirklich alles anhörst, was dieser Mann zu sagen hat“, gab er ihm mit auf den Weg. „Wir haben nur diese eine Chance. Es hat jetzt Monate gedauert, um diesen Termin zu bekommen.“

„Warum ich?“, fragte Jack und hätte sich selbst dafür ohrfeigen können. „Weil du, mein Junge, die Unschuld dafür hast. Diese abgewrackten Typen, die sich Reporter nennen und heimlich saufen oder Schmiergeld von der Mafia nehmen, die will ich auf keinen Fall bei Colonel Sharp sehen. Aber wenn du keine Lust hast kannst du gleich nach Hause gehen.“

Jack schluckte, als er begriff was Bill meinte. „Ich mache es ja! Keine Angst, ich bekomme das hin!“ „Das rate ich dir auch!“, knurrte Bill und schlug heimlich drei Kreuze. Endlich hatte wer zugestimmt. Colonel Ben Sharp war nämlich alles andere als einfach. Manche behaupteten, er sei ein Ekelpaket.

Egal was Paul und John nun sagten, sie hatten den Job vorher abgelehnt. Aus gutem Grund, der Colonel hatte Paul vor einem Jahr die Nase gebrochen, als er ihn am Flughafen interviewen wollte. Auch Jack wusste das und er hatte Angst. Aber nicht genug, um Nein zu sagen.

The Shootist

Ben Sharp war 42 Jahre alt und seit genau 22 Jahren Soldat. Er war bei der Infanterie gewesen und später bei einer Scharfschützenkompanie. Erst als normaler Soldat. Durch seine Leistungen kam schnell seine erste Beförderung. Leistung hieß in diesem Fall Feinde zu töten. Und Ben Sharp war darin richtig gut.

Niemand kannte die genaue Zahl der Toten, die auf sein Konto gingen. Aber es waren mehr als hundert. Entsprechend gefürchtet war dieser Mann, der angeblich kein Gewissen hatte. Jenes Wrack, das Jack an diesem Morgen die Tür öffnete, sah wenig gewissenlos aus. Einen Helden hatte Jack sich anders vorgestellt.

„Sie müssen Jack sein“, begrüßte ihn der Colonel. „Kommen Sie nur rein und erschrecken Sie nicht, wenn sie irgendwelche Stimmen hören. Das sind nur die Gespenster der Vergangenheit.“ Er lachte bitter und Jack bekam eine erste Idee, dass dies kein normales Interview war. Worauf hatte er sich eingelassen?

Colonel Sharps Haus war alt aber sauber und sehr spartanisch eingerichtet. Im Wohnzimmer gab es nur einen Sessel, der zwischen Tisch und Wandschrank stand. „Ich habe nie Gäste“, erklärte der Colonel, als er Jacks Blick bemerkte. „Also wozu Möbel kaufen? Die verstauben nur und werden von Motten zerfressen. Gehen wir in die Küche, dort gibt es zwei Stühle.“

Bei Tee und Gebäck stellte Jack die ersten Fragen, aber die Antworten fielen sehr einsilbig aus. Plötzlich stand Ben Sharp ruckartig auf und sein Stuhl fiel um. „So wird das nichts, junger Mann“, erklärte er. „Wir machen das anders. Ich erzähle Ihnen meine Geschichte und Sie schreiben einfach mit. Wenn Sie Fragen haben, dann fragen sie auch!“

Anfang

„Soldat zu werden war immer mein Traum“, begann Ben Sharp. „Ich bin mit Waffen augewachsen. Mein Vater und Großvater waren auch beim Militär.“ Er deutete auf zwei verblasste Bilder an der Wand. „Genereal Dwight B. Sharp, mein Großvater und General Trevor B. Sharp, mein Vater.

Das „B“ steht dabei immer für Benjamin. Ich habe mit der Tradition gebrochen. Mein erster Name lautet nämlich Hank. Aber ich wollte kein H. B. Sharp sein und Ben hat man mich immer schon gerufen. Auch wenn ich kaum wie Ben der Bär aussehe.

Meinen ersten Menschen habe ich mit 22 getötet“, fuhr der Colonel fort. „Das war bei diesem Terrorakt in New York. Ich war damals zur Nationalgarde abkommandiert. Wir sind rein, ich habe diesen Kerl mit Sturmgewehr gesehen und ohne zu zögern geschossen.“

Jack machte sich Notizen, das Gespräch selbst zeichnete er mit dem Handy auf. „Das war doch bestimmt ein einschneidendes Erlebnis, Sir“, sagte er. „Wie haben Sie sich danach gefühlt?“ Dunkle Augen musterten Jack. Augen, in denen der Wahnsinn brannte.

„Ich habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt“, stellte der Colonel klar. „Danach war ich eine Woche krank. Sie haben mir Medikamente und einen Orden gegeben. Und plötzlich war ich Sergeant.“ Er holte tief Luft. „Danach war alles anders. Die Drogen haben gewirkt und mich ruhig gestellt. Ein Jahr später kam Buffalo.“

Der Vorfall in Buffalo galt lange als blutigster Tag des Landes. Zwei Dutzend Terroristen, hatten eine Schule gestürmt und mehrere Dutzend Kinder abgeschlachtet. Bei dem folgenden Feuergefecht, mit Spezialkräften der Polizei, kamen fünf der Täter um, aber auch acht Polizisten. Danach wurde Jacks Truppe angefordert und sein Stern ging auf.

A Star is born

„Ich habe mir von einem Polizisten ein Gewehr mit Zielfernrohr geliehen, das ich an diesem Tag meisterhaft benutzte“, fuhr der Colonel fort. „Nachdem ich die Hälfte von den Kerlen erledigt hatte, gaben die anderen auf. An diesem Tag wurde ich zum Held.“

Jack war verwirrt. Irgendetwas passte nicht zusammen. Wo war der strahlende Held seiner Kindheit, den die Medien immer wieder präsentierten? Dieser Mann war nur ein Gespenst, das den Menschen Sharp schon lange auf dem Gewissen hatte.

„So ging es weiter, Jahr für Jahr“, fuhr der Colonel fort. „Eines Tages war ich Lieutenant. Und als ich das entführte Schiff aus den Klauen der Piraten rettete, haben sie mich zum Captain gemacht. Dann kam der Krieg. Der hat mich umgebracht.“

„Aber Sir“, unterbrach ihn Jack, „Sie können doch stolz auf sich  und ihre Leistungen sein! Ohne Sie hätte dieses Land nicht überlebt!“ „Ist das so, glauben Sie das wirklich?“ Colonel Sharp verließ kurz die Küche und kam mit einer Armeepistole wieder, die er vor dem erschrockenen Jack auf dem Tisch platzierte.

„So sieht der Tod aus“, sagte er. „Schau ihn dir gut an! Mit dieser Waffe habe ich sieben Menschen erschossen. Mit dem Gewehr 110. All diese Gespenster hausen hier.“

Plötzlich packte er Jack am Kragen und schüttelte ihn durch. „Und jetzt sag noch einmal, dass ich stolz darauf sein könnte und ich blase dir den Schädel weg!“

Gespenster

Jack verstand keinen Ton, aber als der Colonel weiter erzählte, brach nach und nach seine Welt zusammen. „Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren auf Beruhigungsmitteln“, stellte der Colonel klar. „Ohne die, hätte ich was ich tat niemals geschafft. Aber der Held ist Geschichte, sie brauchen ihn nicht mehr.“

Er hielt Jack die Hand vors Gesicht. „Schau genau hin, siehst du es? Sie zittert! Ich zittere! Ich kann nicht mehr. Und ohne Tabletten kommen wieder die Gespenster. Willst du sie sehen?“

„Sir, ich …“, stotterte Jack, dem es immer unbehaglicher wurde. Was hatte der Mann für ein Problem? Wieso war er nicht stolz auf sich? Da musste man doch irgendetwas machen! „Du kapierst es nicht“, murmelte der Colonel. „Keiner will oder kann mich verstehen. Weißt du überhaupt wie das da draußen ist? Hast du jemals Menschen sterben sehen?“

Als Jack den Kopf schüttelte nahm Colonel Sharp die Pistole und schoss ihm eine Kugel ins Bein. Danach versorgte er den vor Schmerzen stöhnenden Reporter und gab ihm ein Dosis Morphium. „Jetzt weißt du, wie sich der Tod anfühlt“, sagte der Colonel. „Das was du durchmachst, habe ich jeden Tag!

Glaubst du es ist cool Menschen zu töten? Glaubst du, das sei irgend so ein Ballerspiel?“ Er leerte das Magazin, die Schüsse rissen Löcher in den Boden. Jack schrie vor Angst, aber langsam begann er zu begreifen. Durch den Morphiumnebel dämmerte in ihm die Erkenntnis, dass Krieg Scheiße war und nicht heldenhaft bunt.

„Schreie und Schmerzen, das hatte ich über Jahre“, sagte Colonel Sharp. Im Kino gibt es tolle Musik, wenn die Helden den Feind besiegen. Die einzige Musik für mich waren Schüsse und Granaten. Das, mein Junge, das ist die Realität!“

Der Preis

Jack erzählte niemand, woher die Verletzung wirklich kam. Als der Colonel den Notarzt rief, log Jack für ihn. Er habe den Colonel um die Waffe gebeten und sich selbst verletzt.

Bei dieser Aussage blieb er auch, als man den Colonel ein Jahr später in die geschlossene Psychiatrie einlieferte, wo er einige Monate später starb. Überdosis hieß es. Er habe sie sich illegal beschafft.

Jack schrieb nie diesen Artikel. Stattdessen aber ein Buch, das ein Zeugnis gegen Krieg und Terror war. Dafür bekam er einen Preis. Er hat ihn nie abgeholt.

Religion als Waffe

Im Namen von Göttern, haben Menschen schon immer andere Menschen verfolgt. Sie haben Kreuzzüge gegen ihre Schwestern und Brüder geführt. Buddhisten sind kein Stück besser, als andere Religionen. Man denke nur an die Kriege in Asien.

Mit dem Unterschied, dass es dabei selten um den Glauben ging. Politische Interessen, die Suche nach Rohstoffen, haben Japans Samurai nach China gebracht. Die Chinesen nach Korea und und und …

Wer anders ist, wird gern verfolgt. „Und willst du nicht mein Bruder sein …“, stand auf so mancher Fahne. Auch in der heutigen Zeit ist das kaum besser. Die Welt brennt noch immer. Verbohrte Greise predigen Hass und schicken die Jugend in den Tod. Mit Bomben, Attentaten und Lügen. „Das Paradies erwartet euch!“

Angeblich haben sie mit „Gott“ gesprochen und der hat den Weg gezeigt. Jede Seite sieht sich als die einzig wahre an. Dabei bedeutet das Wort „Allah“ auch nur „Gott.“ Christen, Juden und Moslems streiten schon immer, weil (falsche) Prediger es so wollen. Aber Religion ist für alle Menschen da. Und ein Gott verbreitet keinen Hass.

Ein Missbrauch von Religion(en), ist so alt wie die Götter selbst. In ihrem Namen werden Wahrheiten verkündet, die Menschen aufgeschrieben haben. Diese Wahrheiten kosten andere Menschen das Leben. So, wie in Israel, Indonesien und dem Sudan. In Wirklichkeit geht es stets um weltliche Interessen. Um Rohstoffe, Macht und sehr viel Geld.

Dafür brennen Städte in Syrien, dafür sterben Menschen in der Türkei. Die Attentäter sterben mit. Ganze Generationen sind bereits verblutet. Politische Konstrukte, wie der Islamische Staat (IS), verbreiten Angst und Schrecken. Kein Gott hat das gewollt. Der Sinn des Lebens ist zu leben. Friedlich. Punkt!