Birgit kann kaum die Finger ruhig halten. Immer wieder trommeln sie leise auf dem Tisch. Sie ist ein Frischling an der Uni, unsicher im Kreis der neuen Menschen.
„Hast du eigentlich einen Freund?“, will eine Rothaarige wissen. Sie heißt Andrea und ist klar die Chefin hier. „Ich habe meinen ja letzte Woche abgeschossen! Der Kerl war immer so weinerlich!“
Die Runde lacht und Birgit beteiligt sich. Pflichtschuldig. Aber die Frage brennt tief in ihrem Hirn.
„Nein“, erwidert sie. „Ich habe keinen Freund.“
Eine Form der Wahrheit.
„Matthes ist doch auch Single“, fährt Andrea fort und schaut Birgit bezeichnend. Sie ist die Alphafrau der Gruppe. Und Mattes ihr kleiner Bruder.
„Schon okay“, wehrt Birgit ab. „Ich habe auch überhaupt keine Zeit für Männer.“
„Ach was!“, wird sie von einer Blonden unterbrochen. „Sex ist total entspannend. Ich komme oft kaum zum schlafen, so wild ist mein Fred.“
Wieder lacht die Runde und Birgit fühlt sich nicht wohl.
Schweigen ist nicht immer Gold.
„Also ich arrangiere mal eben ein Date für dich“, verkündet Andrea. „Mattes ist ein lieber Kerl und kein sturer Rammler.“
Wieder lacht die Runde. Aber jetzt wird es Birgit doch zuviel.
„Ich bin lesbisch“, sagt sie tapfer. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Entgeisterte Gesichter sprechen eine deutliche Sprache. Nur ein Mädel drückt spontan Birgits Hand.
„Ach so, ’ne Lesbe“, murmelt Andrea. Es klingt, als spucke sie die Worte aus. „Na dann ist ja alles klar.“
Die Linien sind gezogen, die Fronten abgesteckt.
Die Runde löst sich auf, die Studentinnen gehen auf Distanz. Wie ein Lauffeuer macht die Neuigkeit die Runde.
Offene und versteckte Ablehnung schlägt Birgit nun entgegen. Die vielgerühmte Toleranz und Offenheit gibt es scheinbar nicht.
Nur wenige Studenten bekennen sich zu ihr. Eine davon ist Kerstin, die ihre beste Freundin wird. Sie bricht mit der Gruppe und wird nun auch gemobbt.
Freundschaft ohne Grenzen.
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Birigt, als Person, gibt es nicht. Diese Situation ist erfunden und die Summe von Erfahrungen, die entweder ich, oder andere Lesben an der Uni machten. Während ich selbstbewusst den Weg nach vorn antrat, hatten es andere Frauen schwer. Aber wo genau liegt das Problem?
Viele Menschen unterstellen Lesben ein männliches Verhalten. Kurze Haare, Hosen, Hemden, werden als untypisch für Frauen angesehen. Aber DIE Lesbe gibt es so wenig, wie DEN schwulen Mann. Leider lassen sich viele aus der LGBT-Gemeinde in eine Schublade pressen, oder folgen einem Modetrend, der aus den USA nach Deutschland schwappt.
Aber während man im Alltag homophobe Menschen oft meiden kann, fällt das an einer Uni schwer. Dort, an der Stätte geistiger Elite, erwarten viele Toleranz. Das Gegenteil ist der Fall. Die Uni ist ein Spiegel der Gesellschaft. Junge Menschen treffen sich dort zum lernen. Nur Toleranz wird oft nicht gelehrt, wenn der Professor ein Homophober ist.
Vor einigen Jahren noch fand sich in der (veralteten) Prüfungsliteratur von Psychologie-Studenten, der Hinweis auf Experimente zur Heilung von Homosexualität mittels Elektroschocks. Und das im 21. Jahrhundert. Normalität ist anders.
Normal ist es, wenn bioökologisch fett gemästete Schweine zu Tode gequält … ich meinte natürlich geschlachtet werden. Oder 1000 Afrikaner im Mittelmeer ertrinken. Da schaut man doch einfach weg und schreibt lieber Hetzartikel über Lesben. Auch eine Form von Coming Out, zeigt sie doch das wahre Gesicht der Menschen.
Birgits Ausweg wäre Schweigen gewesen, oder ein (Schein)Verhältnis mit Matthes. Nicht wenige Lesben leben so und leiden unter harten Stößen. Birgit, das bin auch ich. Wer mir dumm kam, dem gab ich die passenden Antworten. Mit spitzer Zunge und scharfen Worten. Mein Weg, nicht der jeder Frau.
Zur Ehrenrettung der Unis muss ich aber sagen, dass dort Ablehnung oft nur unterschwellig spürbar ist. Die geistige Elite hat ganz andere Möglichkeiten, als die Fratze der Gewalt. Gewalt, die übt sie subtil und mit Worten aus. Damit die heile Welt überlebt.
PS: Da ich Happy Ends mag: (Die fiktive) Brigit und Kerstin gehen gemeinsam ihren Weg. Als beste Freundinnen, die sich gut verstehen. Gemeinsam finden sie die Kraft, Mobbing und Häme zu überstehen. Andere StudentInnen haben Selbstmord begangen. Das ist die Realität.