Ich hab’s getan, wie Frau es tut. Im Stehen und im Liegen. Ein Manuskript gelesen und analysiert. Was bitte habt ihr denn nun gedacht?
Alles beginnt in Düsseldorf, im Sommer vor 5 Jahren. Eine lustige Runde verrückter Mädels. Einige lesbisch, einige nicht. Aber alle gut gelaunt und auf der gleichen Wellenlänge. Zumindest was Kunst und Kultur betrifft. Monika kommt auf die Idee ein Buch zu schreiben. Über lesbisches Leben und die Liebe von Frau zu Frau. Für verrückte Ideen bin ich schnell zu begeistern. Also stimme ich zu ihr fertiges Manuskript zu lesen. Warum ausgerechnet ich mag sich so mancher Leser nun fragen. Die Antwort ist einfach: Weil ich (noch) viel besser (fremde) Texte analysieren, als eigene Texte schreiben kann. Auch, wenn ich das zur Zeit kaum mache.
Schreiben ist eine tolle Sache. Zum Schreiben gehört Talent. Und, was viele neue Autoren nicht begreifen wollen, eine große Portion Schreibtechnik. Als angehende AutorInnen sind wir natürlich fest von unseren Fähigkeiten überzeugt. Aber ich darf jedem Schreibwilligen versichern, dass die vor den Augen eines Lektors kaum vorhanden sind. Viele heute berühmte Autoren, hatten wenig mehr als eine gute Idee. Der wahre Künstler ist oft der Lektor, der daraus mit sanfter Hand die richtigen Worte formt, oder den Autor erst auf den Weg zum Erfolg führt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wer sich alles für einen Autor hält. Schreiben kann jeder Mensch. Gut Schreiben nur wenige. Und nur eine Handvoll werden Schriftsteller.
Der vermutlich größte Fehler von Autoren liegt in ihrer Kritikresistenz. Sie sind tödlich beleidigt, wenn jemand ihr Baby kritisiert. Selbst gut gemeinte Hinweise werden mit Vehemenz abgewehrt. Kritiker haben schließlich keine Ahnung vom mit Herzblut verfassten Meisterwerk des Autors. Denken sie. Aber sie denken leider falsch. Wenn ich fremde Texte lese möchte ich Bilder sehen. Nicht unbedingt die Bilder des Autors, die er mir langatmig erzählt. Ich erwarte eigene Bilder zu sehen. Angeregt, erschaffen durch eben jenes Manuskript, jenen Text, der vor mir liegt. Viele Autoren können das nicht. Sie erzählen nur. Das ist wie bei Opa Karlchen, der endlos und monoton von seiner Arbeit unter Tage erzählen kann. Nur hört ihm schon nach 5 Minuten kein Mensch mehr zu.
„Show, don’t tell“, sind mit die besten Worte, die jemals über das Schreiben gesagt worden sind. Was sie bedeuten erkläre ich gern. Angenommen wir sitzen im Theater. Gespannt warten wir darauf, dass der Vorhang sich hebt und die Akteure die Bühne betreten. Die Zeit vergeht und Stimmen sind zu hören. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, schallt es in die Runde. Die Wartenden werden unruhig. Zu sehen ist der Sprecher nicht. Der Vorhang bleibt unten, das Schauspiel findet dahinter statt, ohne die Zuschauer. Nur Autoren, die uns einen Blick auf die Figuren gewähren, die uns mit auf die Reise zum Mittelpunkt der Erde nehmen und uns die Hitze des glühenden Gesteins fühlen lassen, nur die gehören zu den wahren Meistern ihres Fachs. Kurz gesagt: Schreibt niemals „Es regnete.“ Außer ihr seid Hemmingway. Der Leser muss beim lesen glauben klatschnass zu werden. Das ist die wahre Kunst.
Mehr als ein Jahr später, habe ich Monikas fertigen Text gelesen und analysiert. Nein, Monika ist keine Autorin, das ist mir nach wenigen Zeilen klar. Aber sie hat eine wirklich blendende Idee. Mehr wird dieser Text nie sein. Es wimmelt von Passivsätzen und schwachen Verben. Sie hat Worte zu wahren Satzkonstrukten verknotet, die kein Mensch flüssig vorlesen kann. Merke: Weniger ist oft mehr. Niemand wird etwas gegen den ein oder anderen Schachtelsatz sagen, wenn der Autor die Handlung voranbringen kann. Dazu gehören kurze, dynamische Sätze. Satzmonster erschrecken Leser und bremsen den Lesefluss aus. Eine Ausnahme ist T. C. Boyle. Aber er ist ein Meister seines Fachs. Insgesamt liest sich Monikas Werk sehr hölzern und kalt. Blutleer möche ich fast sagen. Und bei der Logik hapert es auch. Sie wird für das Werk in dieser Form keinen Verleger finden.
Aber vielleicht kann ich ihr helfen, das Manuskript zu verbessern. Während ich lese markiere ich falsche Sätze und Wörter, streiche überflüssige Passagen, oder füge Fragen und Hinweise ein. Am Ende sind die Seiten sehr bunt, der Text macht aber deutlich mehr Sinn. Als wir uns bei ihr zu Hause treffen ist Monika noch gut gelaunt. Sie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her, ihre Finger trommeln auf dem Tisch. Klar, sie ist aufgeregt und kann es kaum erwarten. Ich erzähle ihr von Fehlern anderer Autoren und schlage einen Bogen zu ihrem Manuskript. Als ich ihr meine ehrliche Meinung sage herrscht eisige Stille. Dann holt Monika tief Luft und lässt einen Redeschwall über mich niedergehen, der selbst heftigsten Tropenregen zum Witz verkommen lässt. Leidenschaft pur, die sie im Text vermissen lässt. Genau das sage ich ihr und ihr Redefluss verstummt.
„Du bist nicht kritikfähig“, füge ich hinzu. „Lektoren und echte Kritiker meinen es niemals böse. Ihre Hinweise darfst du nie persönlich nehmen. Ich habe dir nur Dinge aufgezeigt, die sofort ins Auge stechen. Die Idee des Buches halte ich für gut. Schlaf einfach eine Nacht über meinen Worten, dann sieht die Sache anders aus. Und schau dir bitte meine Korrekturen an, sie werden dir weiterhelfen.“
„Aber du bis keine Lektorin“, platzt es aus ihr heraus. „Und du hast noch nie ein Buch geschrieben …“
Sie unterbricht sich und ihr Gesicht nimmt die Farbe reifer Tomaten an.
Mit dieser Attacke habe ich gerechnet. Sie ist mir nur allzu bekannt. Der typische Reflex einer zu Tode gekränkten Erstautorin. Ich schenke ihr ein Lächeln und stehe auf. Hier ist jedes weitere Wort verloren. Und streiten macht wenig Sinn.
„Das habe ich auch nicht vor“, erwidere ich und gehe zur Tür. „Du hast mich um Hilfe gebeten, vielleicht erinnerst du dich daran. Aber wenn du schon mir nicht vertraust, wie willst du jemals mit einem Lektor arbeiten?“
Sie murmelt eine Entschuldigung und ich fahre nach Hause.
Die Tage vergehen und werden zu Wochen und einem weiteren Jahr. Kein Wort mehr von Monika. Sie meidet mich. Das ist traurig, aber ich habe verstanden.
Fünfzehn Monate nach unserem Treffen hat mich eine SMS erreicht. Von Monika. Sie habe einen Verlag gefunden schrieb sie mir. Ich kann den Triumph in ihren Worten spüren. Spontan rufe ich an.
„Was ist das für ein Verlag?“, will ich wissen und ahne die Antwort schon.
Ich verkneife mir ein Lachen, als sie mir den Namen eines typischen Book-on-Demand Verlages nennt. Ab 300 Euro ist Monika mit dabei. Im Club der selbstgestrickten Schreiberlinge. Ohne Korrektur, ohne Lektorat. Das würde extra kosten. Und so viel Geld hat Monika nicht.
Ich spreche sie darauf an, aber sie blockt sofort ab.
„Die Verdienstmöglichkeiten sind toll“, erzählt sie mir und ist völlig aus dem Häuschen. „Ich habe den Verlag in einem Literaturforum gefunden. Der hat tolle Bewertungen bekommen. Bestimmt werden die Mädels das Buch alle kaufen und empfehlen. Und der Verlag wird auch Werbung machen. Die paar Euro bekomme ich locker wieder, wirst schon sehen. Und im Lauf der Zeit mache ich noch Geld gut. Und dann schreibe ich noch ein Buch.“
Fast beiläufig erwähnt sie die Absagen renomierter Verlage.
Klar, denke ich. Dieses wirre Gescheibsel mag kein Lektor lesen. Außerdem passt ein Buch über Lesben kaum ins normale Verlagsprogramm.
Book-on-Demand ist keine schlechte Sache. Leider tummeln sich viele Schwarze Schafe auf der literarischen Schreibwiese. Und die wollen nicht alles unser Bestes, die wollen ohne großen Aufwand Geld. Der angehende Autor wird meist keinen Cent verdienen, aber viel Geld in sein Machwerk investieren. Die guten BoD-Verlage bleiben fair. Auch beim Preis. Sie wollen unbekannten Autoren helfen. Und ein selbst publiziertes Buch muss nicht schlechter sein, als die namhafter Autoren.
Ich versuche Monika ins Gewissen zu reden und kläre sie über die Hintergründe von Book-on-Demand auf. Meine Mühe bleibt vergebens. Monika ist felsenfest von dem Verlagskonzept überzeugt.
„Dann such dir wenigstens einen anderen Verlag“, versuche ich sie wieder auf den Boden zu bringen. „Ein eigenes, unlektoriertes Buch kannst du anderswo viel billiger haben. Bei den 300 Euro bleibt es nämlich nicht!“
Aber Monika will nicht hören und legt schließlich auf. Mit keinem Wort ist sie auf ihr langes Schweigen eingegangen.
Damals nehme ich mir vor nie wieder Texte von Freunden zu analysieren. Das ist besser, als sie im Streit zu verlieren. Was aus Monikas Buch geworden ist weiß ich bis heute nicht. Unsere Wege haben sich schon lange getrennt. Vermutlich hat sie viel Geld für das Machwerk gezahlt. Gekauft wird es keiner haben. Dafür war es viel zu schlecht. Und bei einer Internetrecherche habe ich weder Buch noch Verlag gefunden. Aber wer weiß, vermutlich ist Monika mittlerweile weltberühmt und residiert in der Düsseldorfer Königsallee. Ich bleibe lieber meinem Studium und meinen Idealen treu. Selbst Bücher schreiben will ich aber nicht. Das können andere Leute besser.
Aber eines zumindest werde ich wieder tun. So, wie Frau es tut. Im Stehen und im Liegen. Mit Yuki schmusen. Was bitte habt ihr denn nun gedacht?