Tanten, wie wir

Familie ist wichtig. Mir bedeutet sie viel. Der Besuch meiner Cousine, hat Elfchen und mich zu Tanten auf Zeit gemacht. Wir passen für einen Tag auf ihre Töchter auf. Die Mädchen haben damit kein Problem, sie kennen Yuki und mich. Während Akiko unsere CD-Sammlung erkundet, will Sayuri schmusen.

Kurz darauf schallen japanische Klänge durchs Zimmer und Akiko tanzt lachend auf uns zu. „Zuhause macht sie das auch immer“, verrät mir Sayuri mit verschwörerischem Blick. „Und weißt du noch was, Tante Yumi? Ich tanze immer mit!“ Prompt springt sie von meinem Schoß und sucht die Nähe ihrer Onee-chan (große Schwester).

Bei Kindern tritt jede Logik in den Hintergrund. Da sind auch wir verspielt. Elfchens freches Lachen, als ich mit Akiko spiele, schreit nach einem noch frecheren Kommentar. Prompt wirft sie ein Sofakissen von dem ich mich absichtlich treffen lasse. Die Mädchen lachen, alle haben Spaß.

Wir albern herum und bieten den Kleinen die perfekte Show. Yuki kreischt, als ich ihre Füße kitzle. Vor den Mädchen halten wir uns mit Schimpfworten zurück, die wir sonst hemmungelos benutzen. Elfchen ist auch darin Meisterin. Und nur sie darf solche Worte zu mir sagen. Lachend meist und als gespielte Versöhnung gibts Küsse.

Die für uns ungewohnte Rolle entpuppt sich schnell als Vollzeitjob. Passt ihr mal auf zwei kleine Mädchen auf! Tante Yumi hier, Tante Yuki da, muss mal, hab‘ Hunger, mir ist schlecht. Klar, wenn man nur Süßigkeiten naschen will. Aber Mittagessen gibt es später.

Als wir im SUV zum Supermarkt fahren, schaut mich Akiko kritisch an. „Du Tante“, sagt sie plötzlich. „Warum fahren hier alle falsch?“ In Japan herrscht seit jeher Linksverkehr. Kein Problem, wenn man länger zu Gast in Japan ist. Aber die Umgewöhnung dauert. Und beide Mädchen sind verwirrt.

„Weißt du“, erwidere ich, „du benutzt doch auch meist deine linke Hand. Und die Menschen in Deutschland machen das mit ihren Autos.“ Akiko nickt, das hat sie verstanden. „Trotzdem komisch“, murmelt sie und drückt sich ihr Näschen an der Scheibe platt. „Wo fahren wir hin, was ist das?“

Es geht in den Supermarkt, dann in den Asia-Shop. Mittagessen gibt’s bei meinen Schwiegereltern. Yukis Mama kann kaum ihren Blick von den Mädchen nehmen. Frauen sind schon komisch. Ich weiß genau, wie die ticken! Auch Cousin Ken ist mit von der Partie und freut sich uns zu sehen.

Als es gegen Abend ins Training geht, werden die Mädchen richtig munter. Vor allem Akiko, die einfach süß im Karate-Gi aussieht. Sayuri steht schüchtern am Mattenrand, als ihre große Schwester übt. Aber sie macht jede Bewegung mit. Auch sie hat Talent. Ich bin überrascht, als sie sich zögernd neben Akiko stellt. „Darf ich, Tante Yumi?“, fragt sie lieb und verzaubert alle Herzen.

Wieder zu Hause baden wir die Mädchen und liefern uns  eine Wasserschlacht. „Land unter, ihr Wasserratten“, ruft Ken und wirft sich vor Lachen weg. „Ihr zwei seid wirklich reif für die Mutterrolle“, erklärt er und flüchtet aus dem Bad. Die Ankunft meiner Cousine rettet ihn vor Ungemach. „Schwesterchen“, ruft er, die wollen mich hauen!“

Wir sitzen noch lange zusammen, die Kinder schlafen friedlich auf der Couch. Familie ist wichtig. Mir bedeutet sie viel. Gemeinsam werden wir den Plan verfolgen, um in Japan ein Kind zu adoptieren. Das geht auch als Single, als Ehepaar zählen wir in Japan nicht. Dann werden aus den ollen Tanten tolle Mütter. Ihr werdet es schon sehen.

Mein (fast) perfektes Leben

Mein Leben ist perfekt, das sehen zumindest viele Menschen so. Liebe, Beruf und gutes Elternhaus, was kann es schöneres geben? Die (scheinbaren) Vorteile überwiegen bei mir. Auch finanziell war ich stets ohne Sorgen. Aber ist das alles reines Glück?

Die Wahrheit sieht völlig anders aus. Meine Eltern haben hart für ihren Erfolg gearbeitet und mir wurde ebenfalls nichts geschenkt. Ein fast lebenslanges Training, ein gezieltes Studium, haben mich zu der erfolgreichen Frau von heute gemacht.

„Aber du hattest auch Glück“, höre ich andere Menschen sagen. Und das sehe ich mit anderen Augen. Jeder Mensch hat Chancen. Aber nicht jeder Mensch kann sie nutzen. Versagensangst, Unsicherheit hemmmen das wahre Potenzial. Und das emotionale Chaos im Kopf.

Die vielzitierte Liebe wirft uns oft völlig aus der Bahn. Statt nach vorn zu gehen verharren wir regungslos auf der immer gleichen Stelle. Wir drehen uns im Kreis und suchen nach der rettenden Tür, die uns ins Paradies führen soll. Aber wir finden sie natürlich nicht. Dabei ist sie immer nebenan.

Ich bin behütet aufgewachsen. Dafür aber in einem mir völlig fremden Land. Ich war die Japanerin, die Andere. Aber genau das habe ich zu meinem Vorteil genutzt! Mit Fünf bist du nicht lesbisch und Liebe ist nur ein mysteriöses Wort. Und doch war ich der (heimliche) Star in meiner Klasse. Das Mädchen, das sie alle faszinierte.

Mit Sieben habe ich mir erstmals auch bei Mann Respekt verschafft. An die blutige Nase hat der Junge noch lange gedacht. Damals ist mein Zorn erwacht. Nicht gegen Mann, aber gegen ein Verhalten, das Mädchen als dumm und minderwertig erachtet. Dumm nur, dass meine Noten besser waren. Dumm auch, dass Mann kein Thema (gewesen) ist.

Japan war ein fremdes Land. Mein erster bewusster Besuch hat mich zutiefst schockiert. Plötzlich sollte ich still sein und süße Kleidchen tragen. Und dagegen habe ich mich vehement gewehrt! Die Toleranz meiner Eltern und Tante, hat damals mein junges Leben gerettet. Und die Begegnung mit Cousin Ken. Das war „Liebe“ auf den ersten Blick.

Klein Mayumi war oft wild und mehr Junge, als Mädchen. Und schon damals, habe ich andere Menschen beschützt. Wenn überhaupt von Glück die Rede ist, dann war es mein Glück in Deutschland aufzuwachsen. Auch, wenn ich dort die Außenseiterin war, so hat mir der „Goldene Westen“ alle Freiheiten beschert. Als Lesbe in Japan wäre ich gestorben.

Maßgeblich hat mein Vater mein Leben geprägt. Seine Weitsicht, seine Geduld, haben auch meine Mutter überzeugt. Und plötzlich zog ich, wenn auch selten, von mir aus Kleider an. Überhaupt habe ich immer nur das gemacht, was mein kleiner Dickkopf für gut befunden hat. Dabei war ich nie wirklich ungezogen.

Aber ohne große Regeln kannst du als Kind auch keine brechen. So einfach kann das Leben sein. Ich zitiere mich an dieser Stelle selbst: „Meine Eltern haben mir sehr große Freiheiten gelassen. Ich glaube sie haben erkannt, dass eine weiche Erziehung meinen Dickkopf eher “besiegt”, als Härte. Das passende Sprichwort stammt von Laotse: Nichts auf der Welt ist so weich und nachgiebig wie das Wasser. Und doch bezwingt es das Harte und Starke.“

Mein Leben ist perfekt, so wie es ist. Aus dem wilden Bach der frühen Jahre, ist ein ruhiger Fluss geworden. Wer die eigene Stärke kennt muss selten kämpfen. Auch nicht gegen sich.

Warum ich einfach unschlagbar bin!

Mein Training mit den Drachenzwergen kommt zu kurz in diesen Tagen. Die Kinder sind traurig, sie vermissen mich. Aber selbst meine Energie hat Grenzen und nach einem harten Tag rafft es mich dann auch dahin. Das klingt nun dramatischer, als es wirklich ist. Und mit Lindas Mädels gibt es noch andere Trainerinnen.

Aber gestern Abend gab sich Frau Landar dann die Ehre und hat sich bunt berockt unter die Kleinen gemischt. Leonie, die kleine Judoka, kann sich vor Freude kaum halten.
„Tante Mayumi!“, ruft sie und fällt mir um den Hals. Prompt folgt die ganze Schar der Kinder und begräbt mich förmlich unter sich.
Die Szene gäbe es in Japan nie zu sehen, die Tradition verbietet das. Ich sehe das anders und herze die Kinderschar.
„Aufstellung bitte!“, unterbreche ich dann das Geplapper und folgsam lassen sie von mir ab.
Aufrecht meine Recken!

Yuki und Ken beobachten mich und schmunzeln um die Wette. Auch sie tragen bunte Karate-Gi und sind meine Assistenten.
Da Ken nur einige Worte Deutsch versteht, sprechen wir Japanisch, was die Kinder erneut fasziniert.
Das Training läuft gut, Ken zeigt seine Kyokushin-Karate Kunst. Die Kinder mögen ihn spontan, der Typ ist auch wirklich witzig und lieb.
Der stets neugierige Lars zupft mich irgendwann am Ärmel und stellt mir eine alles entscheidende Frage.
„Tante Mayumi, bist du eigentlich stärker als er?“
Der Kleine deutet auf Ken, der mich an Körpergröße deutlich überragt.
Zwerge werfen lange Schatten.

Yuki feixt und hält sich dann die Hand vor den Mund, ich übersetze Ken die Frage.
Ich rufe die Gruppe zusammmen und lasse sie alle knien. so sind wir fast auf gleicher Höhe.
„Körperkraft und innere Stärke sind zwei verschiedene Dinge“, beginne ich und Yuki übersetzt für Ken. „Mein Cousin hat viel mehr Kraft als ich, das ist bei Männern nun mal so. Aber diese Kraft ist nicht immer entscheidend, um einen Sieg zu erringen. Man muss nicht kämpfen, um zu gewinnen. Einen Gegner kann man auch mit Worten schlagen. Vor allem, wenn man, wie Frauen, körperlich schwächer ist.“
„Aber was, wenn er dich haut?“, hakt Lars nach. „Kannst du ihn dann besiegen?“
Der Sieg in der Niederlage? Nicht mein Ding!

„Ken ist ein Meister im Kyokushin-Karate“, erwidere ich. „Das ist ein völlig anderer Stil. Und Stile kann man sehr schlecht vergleichen. Vor allem, wenn Frauen und Männer die GegnerInnen sind.“
Lars ist nicht zufrieden, das kann ich deutlich sehen. Er kennt und mag mich, aber Ken ist deutlich größer. Das beeindruckt den Kleinen und seine Skepsis wächst. Vor allem, weil ich nun wirklich nicht unschlagbar bin. Nur sehr schwer zu besiegen, denn ich gebe niemals auf! Und das ist der Grund, warum ich gewinne. Verlierer sind dann nur die anderen.
Ken und ich schauen uns kurz an, wir verstehen uns auch ohne Worte.
„Gut“, sagt er und ich übersetze, „Mayumi und ich werden für euch kämpfen. Dann könnt ihr sehen, was sie meint.“
Ich erkenne den Doppelsinn in seinen Worten und auch meine Elfe nickt. Den Kindern entgeht diese Botschaft noch. Für sie zählt nur, was sie sehen.
Yuki gibt die Schiedsrichterin und ich stelle mich meinem Cousin gegenüber. Wer nun glaubt, er sei so einfach zu besiegen, wird eines Besseren belehrt! Ken ist schnell und sehr explosiv, aber sein Nahkampf bleibt grottenschlecht. Er gibt irgendwann lachend auf, als ich Aikido und Wing Chun benutze und ihn mehrfach zu Boden schicke.
Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich!

„Wie ihr seht, ist Kraft nicht entscheidend bei einem Kampf“, ziehe ich ein erstes Resümee. „Aber warum habe ich Ken besiegt, kann mir das wer sagen?“
„Weil du ihn geworfen hast!“, meldet sich Leonie zu Wort.
„Ja“, sage ich. „Ich habe seine Kraft gegen ihn benutzt. Ken kann weder Aikido noch Wing Chun. Und in einem Straßenkampf gibt es auch keine Regeln. Wenn wir aber nun einen sportlichen Wettkampf machen, so sieht das völlig anders aus. Dort gibt es feste Regeln, so wie überall im Leben. Schaut gut zu.“
Runde Zwei beginnt, diesmal in Kyokushin-Manier. Nun, da ich meine Hebel und Würfe nicht anbringen darf, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Ken hat gute Szenen, ist aber zu langsam für mich. Aber wer will schon immer fliehen? Ich gewinne, weil Ken Hemmungen hat Frauen zu schlagen. Dieses Problemchen kenne ich nicht, meine Faust macht sich gut in seinem Magen. Treffer, versenkt!

Die Kinder verstehen und Ken reibt sich grinsend den Bauch. Meinem Cousin ist es gleich, ob ich ihn schlage. Das ist er seit Kindertagen gewohnt. Dafür hat er meine Liebe gewonnen. Und ist damit einer von den wenigen Männern auf dieser Welt, die ich in mein Herz geschlossen habe.
Zum Abschluss des Trainings dürfen auch die Kinder kämpfen, was vor allem Lars immer brennend interessiert. Aber wie immer verliert er gegen Leonie, die zu gut für den Kleinen ist. Ihr Talent ist riesig und ich werde sie entsprechend fördern.
Lars beweist Größe und lacht sie an. So entstehen Freunde fürs Leben. Und das ist gut.

Nachdem die Kinder auf dem Weg nach Hause sind chauffiert uns Yuki im SUV zum Aikido. Ich mache mir auf einem Block Notizen und Ken döst vor sich hin. Im Kreis der Familie zu sein, umgeben von Freunden, zusammen mit der eigenen Frau ist wichtig und gut. Wisst ihr nun warum ich einfach unschlagbar (glücklich) bin?

Wer meine Kindergruppe noch nicht kennt und mehr darüber lesen möchte, der darf gern hier klicken: Von Drachen und Zwergen

 

Japaner und die deutsche Küche – Kulturschock, oder große Liebe?

Auf mehrfachen Wunsch möchte ich heute darüber schreiben, wie Japaner die deutsche Küche sehen. Nicht die von Bulthaup, Boffi, oder Eggersman! Die Rede ist vom Essen. Nun bin ich keine typische Japanerin. Aber deutsches Essen liegt mir nicht. Und meist schwer im Magen. Daher lasse ich es sein. Aber wohl der Frau, die eine japanische Mutter hat. Und die kommt erstmals auf meinem Blog zu Wort.

Ich erkläre ihr worüber ich schreiben möchte und dass ich ihre Meinung brauche. Und fast unmerklich nickend stimmt sie zu.
„Sag Mama“, beginne ich. „Was denkst du über das deutsche Essen?“
Der Gesichtsausdruck meiner Mutter ist unbeschreiblich. Eine Mischung zwischen Freundlichkeit und kühler Distanz. Und nur ich kann den lesen.
Aber ich brauche Worte. Mit japanischen Emotionen ist keinem Leser gedient.
„Och Mama“, bettele ich mit Kleinmädchenstimme. „Sag doch einfach was dazu.“
„Ich hatte bereits von meiner Brieffreundin vom deutschen Essen gehört“, sagt sie leise. „Und ich habe es auch versucht.“
Wieder zeigt sie mir ihr Lächeln.
Mit ihrer Brieffreundin meint sie Tante Helga. Aber davon später mehr.

Übersetzt heißt das: Es hat ihr nicht geschmeckt. Aber das würde meine Mutter niemals sagen. Sie ist viel zu höflich dafür.
Aber ich brauche mehr Informationen. Also muss ich meine Mutter provozieren. Nur gelingt mir das nie wirklich. Sie ist zu beherrscht dafür.
„Wie findest du denn die Unterschiede?“, will ich wissen. „Deutsches Essen gilt ja als schwer, deftig und oft fettig. Fällt dir dazu etwas ein?“
„Die deutschen Würstchen habe ich gemocht“, erwidert sie. „Man kann Frankfurter auch in Japan kaufen. Und die sind sehr beliebt.“
„Und was denkst du über Eisbein, Sauerkraut und Leberknödel?“, hake ich nach.
„Auch die haben ihre Berechtigung“, sagt meine Mutter und lächelt wieder.
Merkt ihr, wie ich leide?

Übersetzt heißt das: Sie findet diese Gerichte schrecklich und würde nicht einmal im Traum daran denken sie zu kochen.
„Und was denkst du über die Vielfalt der deutschen Küche?“, frage ich. „Oder gibt es etwas, das dich stört?“
„Jedes Land hat eigene Sitten und Gebräuche“, kommt die erwartete Antwort. „In Deutschland isst man mehr Fleisch und größere Portionen.“
Und damit hat sie recht.
Japaner in Deutschland machen oft den Fehler in Restaurants mehrere Hauptgerichte zu bestellen. Fischspeisen werden fröhlich mit Fleisch gemischt und Berge von Salaten aufgefahren. Jedes Gericht sättigt den Besteller schon allein. Aber er wird von jedem Teller nur Häppchen essen. Im Unterschied zu Deutschland werden in Japan verschiedene Gerichte in kleinen Schälchen serviert, die gemeinsam verzehrt werden.
Japanisch sein ist anders.

„Du warst doch mit Tante Helga in diesem deutsch-japanischen Kochclub“, fahre ich fort. „Was genau habt ihr dort gekocht?“
Als Tante Helga bezeichne ich die älteste Freundin meiner Mutter. Sie haben sich schon als junge Mädchen kennengelernt. Und über die Jahre ist eine tiefe Freundschaft entstanden, die einzigartig ist. Tante Helga wohnt auch in der Nähe und ist seit Ewigkeiten ein absoluter Japan-Fan.
„Meistens waren es Rezepte, die noch von deiner Großmutter stammen“, erwidert meine Mutter. „Alle Frauen haben die Gerichte sehr gemocht. Auch du, als kleines Kind.“
„Und dann musste ich Hamburger probieren“, platzt es aus mir heraus. „Weil sie so anders waren.“
„Es war dein Wille“, sagt meine Mutter lächelnd.
„Ja“, grummele ich. „Und mein armer Bauch.“
So wird das nichts. Ich brauche einen anderen Plan.

Ich habe eine Idee und flitze zum Telefon.
„Tante Helga? Mayumi hier. Sag hast du vielleicht Lust auf einen Tee zu uns zu kommen?“
Yuki wirft mir einen mahnenden Blick zu. Der bedeutet „Halt dich zurück, du wohnst nicht mehr hier.“
Aber selbst meine Mutter konnte mich nie stoppen, wenn ich am organisieren war.
„Du hast doch nichts dagegen, Mama?“, frage ich dann doch.
„Es ist auch dein Haus“, bekomme ich zu hören.
Mama pur. Und ich liebe sie dafür.

Tante Helga ist eine kräftige Frau mit strahlendem Lachen.
Drei Kinder und viel leckerer Kuchen haben ihr die Figur ruiniert. Das zumindest erzählt sie immer. Die Frau hat Humor.
Vor ihren Umarmungen ist niemand sicher. Auch Yuki und ich bekommem unser Teil. Und es ist nicht schlimm. Ich mag diese Frau.
Der Vorname meiner Mutter ist Misaki. Und das bedeutet schöne Blüte. Und im Unterschied zu anderen Japanerinnen kann meine Mutter über ihren Schatten springen.
Und so umarmt auch sie die „glücklich-Gesunde“, wie Helga übersetzt heißt.
Bei leckerem Tee und japanischem Gebäck greife ich mein Blogthema wieder auf.
Wäre doch gelacht, wenn das nicht klappt.

Tante Helga ist sofort begeistert.
„Ich mag die japanischen Fischgerichte sehr“, lässt sie mich wissen. „Und natürlich Reis. Und die Nudeln erst!“
„Wo liegen deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen den Essgewohnheiten?“, frage ich.
„Wir essen einfach zu viel in Deutschland“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.
Lachend tätschelt Tante Helga ihren Bauch.
„Ich dachte daran seien deine Kinder schuld“, necke ich sie.
„Mehr die Süßigkeiten deiner Mama“, gesteht mir Tante Helga. „Die waren schon immer Nervennahrung für mich. Und ihre weise Art.“
Frauenfreundschaft der besonderen Art.

Es wird ein lustiger Nachmittag. Ich entlocke meiner Mutter auf diese Weise noch mehr Aussagen zu deutschem Essen, die aber alle distanziert und höflich bleiben.
Als Fazit bleibt mir nur zu sagen, dass beide Küchen keine Gemeinsamkeiten haben. Zwar sind Yuki und ich durchaus neuen Dingen aufgeschlossen, aber bei üppigem, deutschen Essen passen wir. Da kommt dann eher Tante Helga wieder ins Spiel, die durchaus auch Bratwürste zu Hause kocht. Wir bleiben lieber schlank. Und das aus Tradition.

Liebe liegt in der Luft

„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, drang die Stimme der Stewardess an Annas Ohr.
Sie schaute auf und in zwei wunderbare Augen.
Ein Lächeln schwebte zwischen den Frauen.
Anna war nicht auf den Mund gefallen, aber beim Anblick der Stewardess fehlten ihr die Worte.
Ein Kribbeln enstand in ihrem Bauch.
„Ja noch etwas Orangensaft bitte“, hörte sie sich selbst sagen.
Sie wusste selbst, wie lahm das klang. Aber mehr brachte sie nicht über die Lippen.

Die Maschine war fast leer. Ein Flug Hamburg – München.
Anna war auf dem Weg nach Hause. Zurück in ihre Berge.
Ihre Tante aus Hamburg hatte gerufen, die weit entfernte Nichte vermisst. Und ein Wochenende mit Tante Marie war immer eine Reise wert.
Die dunklen Augen lagen noch immer auf Anna. Und langsam wurde sie nervös.
Der Orangensaft floß langsam in den Becher. Und wie unabsichtlich streifte die Stewardess Annas Hand.

Anna war lesbisch, aber mit anderen Lesben hatte sie seit jeher ein Problem. Es passte einfach nie.
Vier Beziehungen waren im Sand verlaufen. Und immer waren die Frauen eigentlich heterosexuell und nun wieder bei Mann.
Warum sie sich immer in Heten verliebte, das wusste Anna nicht. Und auch bei der Stewardess war sie sich ganz sicher, dass die eigentlich auf Männer stand.
Nur warum flirtete sie so offen mit ihr? Das wollte Anna wissen.
Tapfer, aber mit wild klopfendem Herz, ging sie in Richtung Toilette. Dort in der Nähe wusste sie die Notsitze, auf denen die Stewardessen oft saßen.
Und Anna hatte recht.

Die Augen der Frauen hielten ein stummes Zwigespräch. Sie hatten sich längst erkannt.
Aber wie flirtet Frau mit Frau?
Anna begann mit einem Lächeln.
„Ist der Flug immer so leer?“, fragte sie. Beim letzten Mal durfte ich auf den Notsitz. Aber das ist schon fast 2 Jahre her.“
„In letzter Zeit sind viele Flüge nicht ausgebucht“, erwiderte die Stewardess. „Die Konkurrenz wird immer größer, Billigflieger überall.“
„Und kein Service, ich weiß“, warf Anna ein.
Die Frauen verstanden sich, sie hatten ihr Thema gefunden.

„Ich hoffe Sie sind mit unserem Service zufrieden“, sagte die Stewardess und versuchte nicht einmal ihr Lächeln zu verbergen.
„Mein Name ist übrigens Alina.“
Anna fühlte erneut das Kribbeln im Bauch.
„Und ich bin Anna“, sagte sie.
Die Minuten verrannen, dehnten sich zur Stunde und Worten, die ihr Ziel erreichten.
Und auch Alina war jetzt nervös.

Ein Signal ertönte, die Landung stand kurz bevor.
Alina sprang auf.
„Sie müssen sich bitte setzen“, bat sie Anna. „Ich habe nach dem Flug frei. Wenn Sie möchten …?
Anna wollte und strahlte Alina an.
Dann sah sie den Ring an ihrer Hand.
Ein Schlag in den Magen hätte kaum schlimmer sein können. Enttäuscht wollte Anna gehen.
„Nein“, hörte sie Alina leise sagen. „Bitte …, es … so ist es nicht. Warten Sie am Ausgang auf mich. Ich möchte gern weiter mit Ihnen reden.“

Anna nahm all ihren Mut zusammen.
„Geh, sie spielt mir dir!“, flüsterte eine Stimme. „Sie  wird dich nur enttäuschen, sie hat einen Mann.“
Aber Anna blieb. Tapfer und doch aufgeregt sah sie Alina kommen.
„Danke!“, waren deren erste Worte. „Ich dachte schon du … Sie …. Ach Mist!“
Beide lachten.
„Du passt schon“, sagte Anna fest. „Worüber magst du mit mir reden?“
„Über alles“, flüsterte Alina. „Über mich, dich. Uns? Wollen wir etwas essen gehen?“
Anna mochte.

Alina lebte getrennt. Das machte sie sofort klar.
„Ich habe mich selbst schon lange gefunden. Nur meine wahre Liebe noch nicht.“
„Und das ist eine Frau?“, wollte Anna wissen. Und versank fast im Boden dafür.
Aber Alina lachte und nahm vorsichtig ihre Hand.
„Ja“, erwiderte sie bestimmt. „Das ist nur eine Frau.“
Wie selbstverständlich legte Anna auch ihre andere Hand auf Alinas schlanke Finger.
„Du bist verrückt!“, flüsterte sie und der Kloß in ihrem Hals begann noch mehr zu wachsen.
„Mit mir und Frau funktioniert es einfach nicht.“
„Jetzt kennst du ja mich“, warf Alina ein. „Lass es uns versuchen?“

Zwei Jahre gingen ins Land. Ein Flug München – Hamburg.
Wieder war die Maschine fast leer.
„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, drang eine warme Stimme an Annas Ohr.
Sie schaute auf und in die wunderbaren Augen ihrer Frau.
Anna war unterwegs zur Tante. Natürlich kam Alina mit.
Und wieder lag Liebe in der Luft. Für immer.