Japans Sonne scheint warm an diesem Tag. Die Regenzeit ist endlich vorüber. In einer Nachtschicht haben wir mit Ken zusammen seinen Skyline fahrbar gemacht. Die neuen Tubolader sind schnell eingebaut, der Rest des Umbaus ist bereits Geschichte. Müde aber glücklich sitze ich am Steuer. Ken hat mir die Ehre der ersten Fahrt überlassen.
Der Nissan Skyline GT-R R34 ist als Filmstar wohlbekannt. Paul Walker hat ihn in den „Fast and Furious“ Filmen gefahren. Aber wer nimmt schon 280 PS, wenn er getunte 500 PS haben kann? Die Beschleunigung presst uns in den Sitz. Aber keine Angst, wieder wird dies kein Bericht über Autos werden. Der Name Skyline passte nur so gut.
Wir lachen und haben Spaß. Wieder ist es ein komisches Gefühl auf der scheinbar falschen Seite zu sitzen. Und doch bin ich hier richtig, denn hier bin ich zu Hause. Japan ist in meiner Seele, meinem Herzen. Nie war ich japanischer, als in diesem Jahr.
Als ob Yuki meine Gedanken lesen kann, liegt ihre kleine Hand plötzlich auf meiner. Ich weiß was du denkst, sagen ihre Augen. Und auch dafür liebe ich sie. Ken räuspert sich, er kann uns fühlen. Aber bei aller Sensibiltät bleibt er doch Mann. Und Tränen zeigen nur die anderen.
In der Tuning-Branche wird gern und viel geschraubt. Dieser Gedanke schießt mir durch den Kopf, als aus dem Autoradio ein Lied ertönt. „Sky is the limit“, höre ich. Und da stimme ich natürlich sofort zu. Für mich gibt es kaum Grenzen, ich mache immer was ich will.
Schule, Studium, Beruf, Karate, all das gehört zu mir und meinem Weg. Und wer soll mich schon stoppen? Das macht dann die Polizei. Aber wir waren nicht zu schnell. Der Beamte weist nur freundlich auf eine Vollsperrung hin, die ein umgestürzter LKW verursacht hat.
Ich sehe sein Interesse an dem Wagen, aber er ist im Dienst und darf nicht fragen. Wir werden umgeleitet und entschließen uns spontan einen Ausflug zu machen. Die Insel Nokonoshima ist nicht weit entfernt. Wir stellen den Skyline ab und setzen mit der Fähre über.
Erster Hunger meldet sich und wir kaufen uns ein Frühstück. Grüner Tee weckt unsere Lebensgeister. Wir mieten Fahrräder und fahren um die Wette. Natürlich sind wir zu laut, natürlich fallen wir auf. Fettnäpfchen, ich komme! Aber die Menschen lächeln nur, es sind nur wenige Japaner auf der Insel.
Wir treffen ein amerikanisches Ehepaar aus Boston. Er ist Ex-Soldat und war früher in Mannheim stationiert. „Ich habe 17 Jahre in Deutschland gelebt“, lässt Bill uns wissen. Er kann noch immer deutsch und ist stolz darauf. Seine Frau stammt aus dem Süden der USA, genauer Alabama. Ich kann sie nur schwer verstehen, der Dialekt ist fürchterlich.
Sie sind zwar typische Amerikaner, aufgeschlossen, freundlich, aber doch sehr an fremden Kulturen interessiert. „In Japan habe ich auch gelebt“, sagt Bill. „Und in Korea. Aber Deutschland vermisse ich sehr. Wir werden nächstes Jahr dort Urlaub machen.“
Der Tag vergeht, die Amerikaner verabschieden sich. Die Fähre bringt uns zurück aus dem Blumengarten. Wir brauchen Schlaf, selbst Tee kann uns jetzt nicht helfen. Ken hat die meiste Energie und fährt nun stolz seinen Wagen. Ziemlich fertig kommen wir bei Tante Kazumi an. Die fackelt nicht lange und steckt uns ins Bett.
Tanze Kazumi ist die forschere Ausgabe meiner Mutter. Herzensgut, aber weniger sanft. Und sie mag klare Worte, was eher untypisch für eine Japanerin ist. Aber damit kann ich und ich liebe sie dafür. Nur Ken mault kurz, als er nach Hause geschickt wird. Ein Blick seiner Mutter lässt ihn zum Lämmchen werden. Frauenpower pur!
Im Bett liegend muss ich immer wieder an Deutschland denken. Der Name weckt ein Gefühl in mir. Ich vermisse meine Mädels, die Drachenzwerge, mein Wing Chun. Und doch bleibt meine andere Heimat hier in Japan so fremd. Warum kann ich nicht in beiden Ländern leben? Die Idee ist geboren, Umsetzung folgt. „Sky is the limit?“ Nicht für mich!