Einsame Straßen
Leichenblass liegt nun die Welt
Der Nebel senkt sich
Bild: Pixabay
Von Kamakura nach Kameyama sind es gut 4 Autostunden. Theoretisch, also fast. Mit viel Verkehr und Staus wird aus der Fahrt ein Abenteuer. Und Japans Sonne brennt. Wir tragen Baseball-Kappen, kurze Hosen und ärmellose Shirts. Yuki verteilt Sonnencreme auf mir und hat sichtlich Spaß, als ich das Näschen rümpfe. Dabei riecht sie gut. Aber Yuki noch besser.
Cousin Naoki hat Großvater Satoshi von seinem Besuch in Deutschland berichtet. Auch, dass ich mit Frau lebe und lesbisch bin. Der alte Mann ist durchaus konservativ. Aber als er mir schrieb formulierte er auf seine Weise, dass er Yuki gern kennenlernen mag. Und genau das ist geschehen.
Elfchen ist total aufgeregt, als wir am Ziel der Reise sind. Ist die Frisur okay, soll sie eine Jacke tragen? Um sie zu beruhigen fahren wir zuerst ins Hotel und duschen. Danach geht es uns beiden besser. Schnell noch das Geschenk in der Kühlbox überprüft, Elfchen hat wirklich Schokolade eingepackt.
Ich rufe den Großvater an, der sich auch prompt meldet. „Ja kommt nur“, sagt er, „ich freue mich schon.“ Selbst ich bin gespannt, wie Satoshi reagieren wird, wenn er Yuki gegenüber steht. Mit Akzeptanz ist es in Japan eine andere Sache. Gab es nie lesbische Shinobi?
Die Begrüßung ist von Respekt geprägt. Vor uns steht ein Urgestein japanischer Geschichte. Dunkle Augen mustern uns wissend. Im Haus erwartet uns Gebäck und frischer Tee. Satoshi freut sich über die mitgebrachte Schokolade. Als Yuki sie überreicht huscht ein Lächeln über sein Gesicht.
„Schön wie die Yuki-onna“ (legendäre japanische Schneefrau / Schneekönigin), sagt er leise. „Aber weniger kalt, das kann ich sehen.“ Japans Sonne geht auf und Elfchen strahlt. Ich übersetze den Satz für meine LeserInnen: Satoshi hat Yuki auf seine Weise als Mitglied der Familie akzeptiert.
Das war keineswegs selbstverständlich. Yukis Großeltern ignorieren mich als ihre Partnerin. Wenn wir sie besuchen, werde ich als (beste) Freundin behandelt. „Naoki hat den Besuch in Deutschland genossen“, sagt der alte Mann nach einer Weile. „Er ist immer sportlich unterwegs und mag es, wenn er das leben kann.“
„Sport finde ich wichtig“, erwidere ich und erkenne die Kritik. „Aber es gibt zu viele, die sich Weltmeister nennen.“ Der Großvater nickt leicht und gießt mehr Tee in unsere Tassen. „Ich las einst ein christliches Zitat“, fährt er fort. „Der größte Trick des Teufels sei es, die Menschen glauben zu lassen das es keinen Teufel gäbe. Das hat er gut gemacht.“
Satoshis dunkle Augen liegen lange auf mir. Locker halte ich seinen Blicken stand. Plötzlich klingelt es und Satoshi bittet mich die Tür zu öffnen. „Ich bin in meinem Alter nicht mehr so schnell“, lässt er mich augenzwinkernd wissen. „Familienbesuch vermutlich, ich habe sie eingeladen.“
Und wirklich steht Naoki vor der Tür. Begleitet wird er von einem halben Dutzend Frauen und Männer, die seine Familie sind. „Meine Eltern“, stellt er zwei sympathische Japaner vor. „Meine Frau, meine Schwester, meine beiden Brüder.“ Es werden neugierige Blicke gewechselt. Die Frauen nehmen sofort Yuki in Beschlag. Ich bleibe bei den Männern.
Die Atmosphäre ist entspannt, alle wissen über uns Bescheid. Aber es gibt keine Kritik, kein böses Wort. Wir sprechen über Kinder und wie wichtig diese sind. „Ich sehe hier keine Kinder“, sagt Satoshi plötzlich schaut uns durchdringend an. Naoki schnauft hörbar und sein Vater lacht.
„Wisst ihr“, sagt mein neuer Cousin, „Großvater zieht uns ständig damit auf. „Besucht ihn nur öfter und ihr werdet auch seine Opfer sein.“ Dann grinst er frech zu Yuki und mir. „Sagt mal, wann bekommt ihr zwei eigentlich Kinder?“ Prompt kassiert er dafür spielerische Schläge von den Frauen, die sich bei uns entschuldigen.
Lachend flüchtet er zu seinen Brüdern, die vorsorglich auch in Deckung gehen. „Kinder halten Großvater jung“, ruft Naoki aus der Zimmerecke. „Frau, wir sollten …“, aber weiter kommt er nicht. Unter großem Gelächter verschließt seine Frau ihm den Mund. Selbst Satoshi schmunzelt leicht. Spaß auf japanisch. Hier regieren Frauen.
Die Stunden vergehen wie im Flug. Wir fühlen uns willkommen. Und das bei völlig fremden Menschen, die doch Teil meiner Familie sind. Interessant für mich waren Satoshis Worte zum Sport und dem Teufel, mit denen er uns eine Botschaft vermittelt hat.
Satoshi kritsierte sanft, dass Naoki uns seine Kampfkunst zeigte. Und er machte sich auf seine Weise darüber lustig, dass die Shinobi nur eine Legende für die meisten Menschen sind. Dass sie existieren wissen wir. Der Beweis lebt in Kameyama. Als wir fahren verlassen wir Freunde. „Kommt wieder“, bittet uns der alte Mann. Und genau das ist der Plan.
Im fünften Teil der Reise geht es übers Meer. Meine LeserInnen erfahren, warum Mandarin ziemlich chinesisch für japanische Ohren klingt.
Ein Anruf im November hat uns überrascht. Großvater Satoshis Enkel hat sich bei meinem Vater gemeldet und ist nun zu Gast in Düsseldorf. Es ist Kens letztes Wochenende in Deutschland, das er gern mit uns verbringt. Auf der Fahrt rätseln wir, wie der Besucher ist. Wer er ist, das wissen wir. Und meine LeserInnen gleich auch.
Wir treffen auf einen jungen Japaner, der kaum älter ist als ich. Die Ähnlichkeit mit Satoshi ist offensichtlich, er hat die gleichen Augen.
Wir dürfen ihn Cousin nennen, er hört das gern. Und meinen Vater nennt er respektvoll Onkel. Japaner unter sich.
Cousin Naoki ist höflich und offener, als ich erwartet hatte. Er ist oft in Europa und den USA. Dort betreut er Kunden.
„Großvater lebt in einer Welt, die die Jahrhunderte überdauert hat“, sagt er. „Traditionen bedeuten ihm sehr viel. Und Familie ist ihm wichtig.“
„Du siehst deinem Großvater sehr ähnlich“, sage ich. „Bist du es auch?“
Der Pfeil ist auf den Weg gebracht.
Ken grinst bei meinen Worten. Diesmal hat er sie verstanden.
„Ich bin kein Shinobi“, erwidert Naoki amüsiert. „Das sind nur alte Geschichten, die einen Kern Wahrheit in sich tragen. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.“
Er trinkt einen Schluck Tee und schaut mich an. Ein kurzer Zweikampf der Blicke, den ich für mich entscheide. Aber Naoki ist keine Gefahr, das kann ich spüren.
„Der Ahn hat damals in Iga gelebt“, beginnt Naoki zu erzählen. „In einer Region, die unabhängig war. Dort gab es keine Killer. Die Clans waren einfach nur selbstbewusst. Man lebte von Ackerbau, Viehzucht und Handwerk. Und einen Tempel gab es auch. Die Menschen waren Bauern, einfache Leute, die ihren Frieden gefunden hatten.“
Deine Wahrheit, meine Wahrheit.
„So einfach können sie nicht gewesen sein“, stelle ich fest. „Immerhin haben sie Oda Nobunagas Sohn in einer Schlacht geschlagen.“
„Ja“, sagt Naoki. „Die Clans sind unbequem gewesen. Stehst du auf keiner Seite, so wird die Seite zu deiner gemacht. Und Oda Nobunaga hatte große Macht. Die Shinobi waren ein Dorn im Auge der Mächtigen. Zu selbstbewusst, zu gefährlich durch ihre Kunst. Auch ein Karate-Meister bildet keine Mörder aus. Aber der Schüler kann Karate zum töten nutzen.“
Und damit hat er recht.
„Ninja, Shinobi waren Menschen ihrer Zeit, die politischen Interessen dienten“, erklärt uns Naoki. „Vieles ist Legende. Aber wir glauben, dass sie Spezialisten waren. Einige auch für Morde, aber hauptsächlich haben sie Informationen beschafft. Und ganz gewiss nicht in dunkler Kleidung und bei Nacht.“
„Ich finde es zum schreien, wenn Ninjas in Hollywood-Filmen Tritte benutzen, die zumindest in Japan keiner kannte“, sage ich. „Und Chinesen haben auch kaum hoch gekickt.“
Naoki nickt und ein erstes Geheimnis lüftet sich.
„Es gibt von dem Ahn Dokumente, die von den Ninja und Iga berichten. Er schreibt von der Harmonie zwischen Mensch, Buddha und der Natur.“
„Was beweist, dass er kein Bauer war“, sage ich. „War er ein Samurai?“
„Er war ein Ronin (herrenloser Krieger)“, erwidert Naoki, „der eine neue Heimat in Iga fand. Auch Freunde und Familie. Seine erste Frau und seine Tochter sind bei dem Massaker umgekommen. Wir entstammen der zweiten Verbindung mit einer jungen Witwe, die noch keine Kinder hatte.“
Liebe besiegt immer Hass.
„Unser Vorfahr hat viel von den Ninja gelernt“, fährt Naoki fort. „Und zumindest eine Form des Taijutsu (japanische Bezeichnung für waffenlose Kampfkünste) hat er perfekt beherrscht. Er hat diese Kunst an seine Söhne und Enkel vermittelt und die immer weiter, bis zum heutigen Tag.“
Er lacht, als ich ihm die alles entscheidende Frage stelle.
„Kannst du diese Kunst?“
„Ja“, erwidert er. „Aber die hat wenig mit dem Bujinkan von Masaaki Hatsumi zu tun.“
„Der Oberninja“, stelle ich respektlos fest. „Immerhin hat er die Kunst bekannt gemacht.“
Aber war das auch gewollt?
Naokis Gesicht spricht eine ganz andere Sprache und wie wenig er von dem Bujinkan-Großmeister hält.
„Im Gegensatz zu Großvater bin ich durchaus dafür, dass unsere Kunst auch von Fremden erlernt werden kann“, fährt er fort. „Der Mythos Ninja sollte entzaubert werden. Aber manche Legenden leben ewig. Nur bin ich gegen diese totale Kommerzialisierung. Das, was Ninjutsu wirklich ist, beherrschen nur noch wenige Menschen auf der Welt. Der Rest macht Jiu Jitsu und Sport-Karate.“
„Der spirituelle Aspekt geht immer mehr verloren“, stimmt mein Vater zu. „Mayumi und ich versuchen ihn zu vermitteln, aber das ist in Europa sehr schwer.“
Es kribbelt in meinem Bauch. Er hat meinen Namen an erster Stelle genannt und mich damit geadelt.
Meisterliche Worte. Auch dafür liebe ich ihn.
„Wir haben lange gebraucht, um einen Hinweis auf diesen Ahn zu finden“, sagt mein Vater. „Fast hätte ich den Eintrag übersehen. Wer war er, was ist mir ihm geschehen?“
„Soweit wir wissen, ist ihm damals als Frau verkleidet die Flucht gelungen“, erwidert Naoki und bestätigt damit meine Theorie. „Oda Nobunaga hat ein Massaker angerichtet und Tausende sind erschlagen worden. Die Übermacht war 10:1, was viel über Nobunagas Charakter sagt.“
„Er hat seine Ehre wiederhergestellt“, werfe ich ein.
„Und Unschuldige getötet“, gibt Naoki zurück. „Frauen und ihre Kinder.“
Der Sieger macht die Regeln, das war schon immer so.
Ob wir nun wirklich einen Ninja in der Familie haben, darüber ist sich selbst Naoki nicht schlüssig. Selbst Großvater Satoshi hat ihn nur einen Bauern genannt.
Aber er war ein Ronin, ein herrenloser Krieger. Kampf war also sein Beruf. Zumindest hat der Ahn in Iga gelebt. Das sagt alles und nichts.
Naokis Besuch war aufschlussreich. Als er geht verspricht er in Kontakt zu bleiben. Und das glauben wir ihm.
Für einen kurzen Augenblick, haben sich die Nebel von Iga noch einmal gelüftet. Wir sind eingetaucht in eine Welt, die vor vielen Jahren vergangen ist.
Aber manche Dinge wollen verborgen bleiben.
Auch echtes (Familien)Ninjutsu habe ich gesehen. Und das fand ich wunderbar.
Im Endeffekt ist es mit meinem Aiki-Jujutsu verwandt. Was vielleicht bedeutet, dass ich wirklich eine Kunoichi bin.
Als ich das sage, hat Naoki herzlich gelacht. Es ist keine Arroganz, er versteht den Spaß.
Die Chronik meiner Familie ist vollständiger geworden. Und das nächste Kapitel schreiben Yuki und ich.
Unsere Reise führt zum Schildkrötenberg, dem übersetzten Namen der Stadt Kameyama in der Präfektur Mie. Ein alter Mann wartet auf uns, den wir Großvater Satoshi nennen. Satoshi hat viele Kanji-Bedeutungen, wird aber meist in Zuammenhang mit Weisheit benutzt. Und weise ist der alte Mann. Das bemerken wir sehr schnell.
Mein Vater hat seinen Besuch schon lange angekündigt und nur Ken und mich als Angehörige mitgebracht. Krieger unter sich. Meine Mutter und Yuki sind im Hotel geblieben. Das war besser so. Satoshi lebt in einem Haus am Stadtrand, in dem die Zeit keine Rolle spielt. Er ist erfreut uns zu sehen. Bisher hat er nichts von unserer Existenz gewusst. Sagt er zumindest. Aber er ist schwer zu durchschauen.
Bei dem Namen des Ahnen winkt er ab.
„Er war nur ein Bauer“, sagt er, „der in Iga Geschäfte machte.“
„Ein kluger Bauer, der das Massaker überlebte“, fügt mein Vater hinzu.
Satoshi nickt und schaut mich dabei an.
Nie zuvor habe ich solche Augen gesehen, der Blick geht bis in die Tiefen meiner Seele.
„Ninja-Frauen hat man man Kunoichi genannt“, sagt er leise. „Sie waren so gut, wie die Männer. Vielleicht sogar noch besser.“
„Kunoichi“, murmele ich. „Das Wort hat man aus dem Kanji für „Onna (Frau)“ gebildet und dafür alle drei Schriften benutzt.“
Satoshi nickt und ich habe verstanden.
Kurz zur Erklärung. Das Kanji für Frau ist 女. Zerlegt man das Zeichen, so ensteht die Hiragana-Silbe ku: く, die Katakana-Silbo no: ノ und das Kanji ichi: 一. Daraus ist Kunoichi gebildet worden. Ist Japanisch nicht einfach toll?
Wir trinken Tee und reden. Aber mehr als ein Austausch von Höflichkeiten scheint es nicht zu sein. Großvater Satoshi ist ein wahrer Meister, das wird mir mit jeder Minute klar. Das Haus ist fast ein Museum, überall Bilder und Schriften. Satoshi war Lehrer und ein geachteter Mann. Seine Frau ist lange tot, seine Söhne sind über das Land verstreut.
„Meine Enkel besuchen mich jedes Jahr“, erzählt er. „Dann berichten sie mir von der Welt. Von fremden Ländern und deren Menschen. Und, wie diese uns Japaner sehen.“
Er schmunzelt bei diesen Worten und mein Vater schaut mich an.
„Die Menschen kämpfen gern“, sagt Satoshi unvermittelt. „Aber sie wissen nicht gegen wen. Sich selbst zu besiegen ist die größte Kunst.“
„Karate ist ein Weg zu Selbstvertrauen und seinem eigenen Ich“, ergreife ich das Wort.
„Ach ja, Karate“, murmelt Satoshi. „Das ist doch dieser China-Stil, der über Okinawa nach Japan kam.“
Und wieder schaut mich mein Vater an. Wir verstehen uns schon immer blind..
Großvater Satoshi hat in seiner Jugend Judo trainiert.
„Eine Hüftverletzung hat mich aber behindert“, sagt er. „Aber Judo als Sport wird überbewertet finde ich.“
Aber es interessiert ihn doch, als die Rede auf unsere Kampfkunst kommt.
„Ja“, sagt er. „Kämpfen ist wohl bei uns Familientradition. Ich würde gern Deutschland besuchen, aber dazu bin ich schon zu alt. Aber einer meiner Enkel war schon dort. Vielleicht kann er euch ja dort mal besuchen.“
„Er ist stets willkommen“, sagt mein Vater.
Satoshi nickt. Familie ist ihm wichtig.
Wir bleiben fast zwei Stunden. Der alte Mann zeigt uns das Haus. Aber wirkliche Informationen bekommen wir keine. Die Nebel von Iga lüften sich nicht völlig an diesem Tag.
Auf dem Weg zum Hotel gibt sich Ken enttäuscht.
„Das war Zeitverschwendung“, findet er.
„Satoshi hat eine ganze Menge gesagt. Frag deine Cousine“, erwidert mein Vater und überlässt mir das Wort.
„Der Ahn hat sich als Frau verkleidet“, erkläre ich, „Nur so gelang es ihm zu überleben. Ein alter Trick der Ninja. Wobei Frauen natürlich wirklich besser sind.“
Ken schnauft gespielt empört. Endlich hat er verstanden. Auch meinen Kommentar.
„Wenn seine Enkel kommen trainiert er sie natürlich“, führe ich die Ausführungen fort. „Sie haben andere Kampfkünste gelernt und mit Ninjutsu kombiniert. Satoshi ist daran zwar interessiert, aber hält wenig davon. Das hat er klar gesagt.“
„Du meinst die Andeutung der Hüftprobleme?“, will Ken wissen.
„Ja“, erwidere ich. „Judo war nur eine Ablenkung. Vermutlich hat er sich heimlich über die Judoka amüsiert. Tritte mag er nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass er sie kann. Und er hält absolut nichts von sportlichen Wettkämpfen. Auch das hat er gesagt.“
„Und die Sache mit dem Enkel?“, will Ken wissen. „Soll das heißen, dass ein Ninja nach Deutschland kommt?“
„So in etwa“, erwidere ich amüsiert. Aber ein klassicher Ninja wird er kaum sein. Ich bin gespannt, wie lange es dauert. Aber glaub mir, er wird sich melden.“
Und genau das ist im November geschehen.
Von einem überraschenden Besuch und einem Blick in die Vergangenheit erzählt Teil 3. Auch, wer die Ninja wirklich waren.
Wir schreiben das Jahr 1581. Der Daimyo Oda Nobunaga ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Aber nicht nur militärisches Geschick hat ihm dabei zu seinen Siegen geholfen. Er und die anderen Daimyo, haben sich dabei Menschen bedient, die zur Legende geworden sind. Die Rede ist von den Ninja, den Schattenkriegern, auch Shinobi genannt. Und von denen mag ich heute erzählen.
Japan im Mittelalter war keine einheitliche Nation. Verschiedene Fraktionen buhlten um die Macht. Nicht immer war offener Kampf die beste Lösung. Spionage stand damals hoch im Kurs. Wann die Ninja genau entstanden sind, das weiß heute keiner mehr. Und was sie waren, ist von Hollywood verwässert worden.
Seit vielen Jahren betreibt mein Vater Ahnenforschung. Unser Stammbaum ist lückenlos und reicht bis weit ins Mittelalter zurück. Die Namen der Ahnen klingen gut, aber nicht alle waren Samurai. Und zumindest ein Ahn war ein richtig Schwarzes Schaf. Zumindest seiner Kleidung nach. Dumm nur, dass die auch von Hollywood erfunden worden ist. Ein echter Ninja hat anders ausgesehen.
Die Reise meiner Eltern im Sommer war nicht nur rein geschäftlicher Natur. Sie hat auch zu einem Zweig der Familie geführt, den es offiziell nie gegeben hat. Oda Nobunaga ist damals mit seiner Armee nach Iga marschiert, um die dortigen Ninja-Clans zu vernichten. Sie waren zu mächtig geworden und wurden nicht mehr gebraucht. Außerdem erkannten die Clans seine Vorherrschaft nicht an. Ein weiterer Grund, sie vom Angesicht der Erde zu tilgen. Und genau das hat er getan. Auch galt es die Schmach zu tilgen, die seinem Sohn widerfahren war. Der hat beim Iga-Aufstand 1579 gegen die Ninja-Clans verloren.
Tausende lagen nach der Schlacht erschlagen umher. Die Samurai und ihre Helfer waren nach heutigen Maßstäben gemessen sehr grausame Krieger. Egal ob Kind, Greis, oder Frau, der Tod hat damals in Iga gewütet. Aber nicht alle Ninja sind umgekommen. Und auch nicht unser Ahn.
Wir wissen nicht wie er entkommen ist. Aber im Geist sehe ich einen Mann gehetzt durch die Wälder laufen. Immer im Dunkel der Bäume, unsichtbar für Tageslicht. Vielleicht haben ihn Samurai verfolgt, vielleicht hat er auch kämpfen müssen. Aber als Meister der Tarnung bekamen die ihn vermutlich nie zu Gesicht.
Sein Name tut nichts zu Sache. Aber wir wissen nun ganz sicher, dass es ihn gegeben hat. Und wir wissen auch, dass ihm als einer der wenigen Überlebenden des Massakers von Iga, die Flucht gelungen ist. Der Mann war kein einfacher Soldat. Die Chroniken sprechen von einem Bauern, der sehr wehrhaft gewesen sein soll. Aber war er wirklich ein Meister des Ninjutsu? Und was ist das überhaupt?
Hollywood hat aus den Ninja die unbesiegbaren Schattenkrieger und gedungenen Killer gemacht. Ausgestattet mit zum Teil übermenschlichen Fähigkeiten, schnetzeln sie sich durch blödsinnige Filme. Die Ninja / Shinobi waren alles andere als reine Mörder. Und Ninjutsu ist weit mehr als bloßer Kampf. Unwissende Autoren, aber auch Geschäftemacher, haben den Fokus stets auf diesen Aspekt gelegt.
Aber so wie Karate weit mehr als die Kunst ist sich selbst verteidigen zu können, so viel mehr ist das legendäre Ninjutsu. Ninja waren nicht nur Meister im Umgang mit Waffen, sie waren auch spirituell geschult. Und sie waren Strategen, Heilkundige, Schwimmer, Reiter und hatten Kenntnisse in Meteorologie und Geografie. Als Allrounder waren sie so universell einsetzbar. Und was sie nicht wussten, das haben sie sich beigebracht.
Ninjutsu bedeutete auch, die Kampfkunst des Gegners zu studieren und für die eigenen Zwecke zu gebrauchen. Ja, Ninja konnten Menschen mit einem, oder wenigen Schlägen töten. Aber wenn, so haben sie Gift, Pfeile, oder Messer benutzt. Primär waren Ninja Spione, die Informationen sammelten. Agenten, eine Art mittelalterlicher Geheimdienst. Aber der maskierte Attentäter sieht in Filmen gleich viel besser aus.
Die Samurai sahen in den Ninja Krieger ohne Ehre, da sie meist den Kampf Mann gegen Mann gemieden haben. Vielleicht steckte in dieser Verachtung aber auch eine Portion Angst. Trotz kürzerer Schwerter waren die Ninja gefürchtete Kämpfer, die so manchen Samurai zu Boden schlugen. Aber so, wie heutige Spione und Spezialkommandos, agierten die Ninja im Verborgenen. Warum also die offene Feldschlacht suchen, wenn du allein gegen hundert Krieger stehst.
Oda Nobunaga hat seinen Sieg nicht lange überlebt. Die Ninja aber sind in den Nebeln verschwunden, die Überlebenden haben sich gut getarnt. Aber Ninjutsu ging nicht völlig verloren, die Meister haben die unterschiedlichen Stile mündlich übermittelt. Aber jener vollkommene Schattenkrieger vergangener Tage, ist wohl für immer verschwunden.
Wie es weitergeht erfahrt ihr im zweiten Teil. Auch, ob wir einen Ninja gefunden haben. Oder er vielleicht uns.
Klarer Kinderblick
Fröhlichkeit und Liebe pur
Kühl ist der Abend
Glühend rot sind die Wangen
Nebel weicht Kinderlachen
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Meinen Drachenzwergen (KLICK) gewidmet und allen Kindern dieser Welt
Frostiger Morgen
Nebelgesellen drohen
Unverzagt dein Blick
Nachteskälte weicht dem Tag
Sonne bringt die Liebe mit