Kraft
Warum ich einfach unschlagbar bin!
Mein Training mit den Drachenzwergen kommt zu kurz in diesen Tagen. Die Kinder sind traurig, sie vermissen mich. Aber selbst meine Energie hat Grenzen und nach einem harten Tag rafft es mich dann auch dahin. Das klingt nun dramatischer, als es wirklich ist. Und mit Lindas Mädels gibt es noch andere Trainerinnen.
Aber gestern Abend gab sich Frau Landar dann die Ehre und hat sich bunt berockt unter die Kleinen gemischt. Leonie, die kleine Judoka, kann sich vor Freude kaum halten.
„Tante Mayumi!“, ruft sie und fällt mir um den Hals. Prompt folgt die ganze Schar der Kinder und begräbt mich förmlich unter sich.
Die Szene gäbe es in Japan nie zu sehen, die Tradition verbietet das. Ich sehe das anders und herze die Kinderschar.
„Aufstellung bitte!“, unterbreche ich dann das Geplapper und folgsam lassen sie von mir ab.
Aufrecht meine Recken!
Yuki und Ken beobachten mich und schmunzeln um die Wette. Auch sie tragen bunte Karate-Gi und sind meine Assistenten.
Da Ken nur einige Worte Deutsch versteht, sprechen wir Japanisch, was die Kinder erneut fasziniert.
Das Training läuft gut, Ken zeigt seine Kyokushin-Karate Kunst. Die Kinder mögen ihn spontan, der Typ ist auch wirklich witzig und lieb.
Der stets neugierige Lars zupft mich irgendwann am Ärmel und stellt mir eine alles entscheidende Frage.
„Tante Mayumi, bist du eigentlich stärker als er?“
Der Kleine deutet auf Ken, der mich an Körpergröße deutlich überragt.
Zwerge werfen lange Schatten.
Yuki feixt und hält sich dann die Hand vor den Mund, ich übersetze Ken die Frage.
Ich rufe die Gruppe zusammmen und lasse sie alle knien. so sind wir fast auf gleicher Höhe.
„Körperkraft und innere Stärke sind zwei verschiedene Dinge“, beginne ich und Yuki übersetzt für Ken. „Mein Cousin hat viel mehr Kraft als ich, das ist bei Männern nun mal so. Aber diese Kraft ist nicht immer entscheidend, um einen Sieg zu erringen. Man muss nicht kämpfen, um zu gewinnen. Einen Gegner kann man auch mit Worten schlagen. Vor allem, wenn man, wie Frauen, körperlich schwächer ist.“
„Aber was, wenn er dich haut?“, hakt Lars nach. „Kannst du ihn dann besiegen?“
Der Sieg in der Niederlage? Nicht mein Ding!
„Ken ist ein Meister im Kyokushin-Karate“, erwidere ich. „Das ist ein völlig anderer Stil. Und Stile kann man sehr schlecht vergleichen. Vor allem, wenn Frauen und Männer die GegnerInnen sind.“
Lars ist nicht zufrieden, das kann ich deutlich sehen. Er kennt und mag mich, aber Ken ist deutlich größer. Das beeindruckt den Kleinen und seine Skepsis wächst. Vor allem, weil ich nun wirklich nicht unschlagbar bin. Nur sehr schwer zu besiegen, denn ich gebe niemals auf! Und das ist der Grund, warum ich gewinne. Verlierer sind dann nur die anderen.
Ken und ich schauen uns kurz an, wir verstehen uns auch ohne Worte.
„Gut“, sagt er und ich übersetze, „Mayumi und ich werden für euch kämpfen. Dann könnt ihr sehen, was sie meint.“
Ich erkenne den Doppelsinn in seinen Worten und auch meine Elfe nickt. Den Kindern entgeht diese Botschaft noch. Für sie zählt nur, was sie sehen.
Yuki gibt die Schiedsrichterin und ich stelle mich meinem Cousin gegenüber. Wer nun glaubt, er sei so einfach zu besiegen, wird eines Besseren belehrt! Ken ist schnell und sehr explosiv, aber sein Nahkampf bleibt grottenschlecht. Er gibt irgendwann lachend auf, als ich Aikido und Wing Chun benutze und ihn mehrfach zu Boden schicke.
Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich!
„Wie ihr seht, ist Kraft nicht entscheidend bei einem Kampf“, ziehe ich ein erstes Resümee. „Aber warum habe ich Ken besiegt, kann mir das wer sagen?“
„Weil du ihn geworfen hast!“, meldet sich Leonie zu Wort.
„Ja“, sage ich. „Ich habe seine Kraft gegen ihn benutzt. Ken kann weder Aikido noch Wing Chun. Und in einem Straßenkampf gibt es auch keine Regeln. Wenn wir aber nun einen sportlichen Wettkampf machen, so sieht das völlig anders aus. Dort gibt es feste Regeln, so wie überall im Leben. Schaut gut zu.“
Runde Zwei beginnt, diesmal in Kyokushin-Manier. Nun, da ich meine Hebel und Würfe nicht anbringen darf, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Ken hat gute Szenen, ist aber zu langsam für mich. Aber wer will schon immer fliehen? Ich gewinne, weil Ken Hemmungen hat Frauen zu schlagen. Dieses Problemchen kenne ich nicht, meine Faust macht sich gut in seinem Magen. Treffer, versenkt!
Die Kinder verstehen und Ken reibt sich grinsend den Bauch. Meinem Cousin ist es gleich, ob ich ihn schlage. Das ist er seit Kindertagen gewohnt. Dafür hat er meine Liebe gewonnen. Und ist damit einer von den wenigen Männern auf dieser Welt, die ich in mein Herz geschlossen habe.
Zum Abschluss des Trainings dürfen auch die Kinder kämpfen, was vor allem Lars immer brennend interessiert. Aber wie immer verliert er gegen Leonie, die zu gut für den Kleinen ist. Ihr Talent ist riesig und ich werde sie entsprechend fördern.
Lars beweist Größe und lacht sie an. So entstehen Freunde fürs Leben. Und das ist gut.
Nachdem die Kinder auf dem Weg nach Hause sind chauffiert uns Yuki im SUV zum Aikido. Ich mache mir auf einem Block Notizen und Ken döst vor sich hin. Im Kreis der Familie zu sein, umgeben von Freunden, zusammen mit der eigenen Frau ist wichtig und gut. Wisst ihr nun warum ich einfach unschlagbar (glücklich) bin?
Wer meine Kindergruppe noch nicht kennt und mehr darüber lesen möchte, der darf gern hier klicken: Von Drachen und Zwergen
Warum ich (k)ein Mann sein will!
Viele Menschen haben irgendwann in ihrem Leben den Wunsch verspürt, das jeweils andere Geschlecht zu sein.
Auch klein Mayumi hat diesen Satz gesagt, auch ich habe einst mit dem Schicksal gehadert.
Aber in mir brannte nie ein Feuerwerk der Chromosome, ich war nie im Gender-Wahn.
Manche Menschen sehen das anders und werfen mir eine maskuline Ader vor. Dominant sei ich und überheblich. Selbstgerecht, wie die Spezies Mann.
Aber arrogant ist anders, ich bin einfach selbstbewusst.
Ich habe mir einst die Frage gestellt, ob ich ein Mann im Frauenkörper bin. Das kann ich klar verneinen. Transsexualität ist ein sehr komplexes Thema und zugegeben nicht mein Ding. Ich habe Mitgefühl mit diesen Menschen, aber transsexuell war ich nie.
Mein Wunsch Mann zu sein, hat einen anderen Grund gehabt. Es ging mir um Stärke, oder besser um pure (Körper)Kraft. Und vielleicht um Größe.
Aber was hat wahre Größe mit Zentimetern zu tun?
Mit 1 Meter 62 bin ich für deutsche Maße klein. Und auch in Japan wächst die Jugend.
Klein, aber oho!
Diesen Mangel an Körper, habe ich mit Geist ausgeglichen. Und natürlich mit Kung Fu.
Ja ich weiß, hier sollte eigentlich Karate stehen, aber lautmalerisch klang Kung Fu gleich so viel besser.
Für meine Größe, habe ich ein durchaus gesundes Maß an Körperkraft. Natürlich ist das weniger als bei meinem Vater oder Ken.
Aber mit purer Kraft gewinnen auch „meine Männer“ keinen Kampf.
Kraft nutzen immer nur die anderen.
Als kleines Mädchen war ich von Kraft und Stärke fasziniert. Mein Papa war mein erster Held. Aber im Gegensatz zu anderen Frauen, wollte ich nie ein Junge sein.
Zwar habe ich Mayumi in Kanji-Zeichen absichtlich falsch geschrieben und so den altertümlichen „Bogen“ kreiert, aber scharf geschossen habe ich mit Worten.
Das war mein Weg. Und zur Not gabs noch ein hohes Knie. Dann war Mannes Größe auch meist am Boden.
Darfs noch ein Tritt in den Hintern sein?
Ich bin immer gern Frau gewesen und das ist noch immer so. Gut, auf die Regelschmerzen kann ich verzichten, die fand ich schon immer reichlich doof.
Was mich als Kind ärgerte, war eben der Mangel an Körperkraft und das ich manche Dinge nicht so einfach heben konnte.
Aber ich habe immer tapfer mitgeholfen, mein Papa war schon damals stolz auf mich. Was hätte er auch machen sollen, gegen meinen Dickkopf kam selbst er nicht an.
Und diese Sturheit, diese Energie, hat mir letztlich auch den rechten Weg gewiesen. Den weicheren Weg der Frau und nicht die Härte von Mann.
Nutze die Kraft des anderen! Das ist der Weg, das ist der Sieg.
Als junge Frau war ich ein Pulverfass auf zwei (kurzen) Beinen. Und Karate habe ich mit Leidenschaft gemacht.
„Als Mädchen kannst du keinen Mann mit purer Kraft besiegen“, hat mein Vater einst gesagt.
Und das habe ich am Anfang nicht verstanden. Im Gegenteil habe ich nun noch härter trainiert.
Kein Fehler, aber doch der falsche Weg.
Im Lauf der Zeit habe ich immer mehr verstanden. Und wieder war mein Vater ein Meilenstein auf diesem Weg.
Männer können durchaus weise sein.
Immer wieder habe ich Frauen getroffen, die mit ihrem (weiblichen) Schicksal hadern.
„Ach wäre ich doch nur ein Mann!“, höre ich sie sagen, „dann wäre alles einfach und gut.“
Auf meine Nachfrage war Frau dann oft verblüfft. Sätze wie diese kommen meist unüberlegt und sind lediglich ein Spruch.
„Ich müsste dann nicht ständig für Verhütung sorgen“, hat Frau verkündet. Und auch „Ich bekäme im Monat mehr Geld“, gesagt.
Aber sind das wirklich alle Gründe, will Frau so einfach auf ihren wunderbaren Körper verzichten? Prompt kommt die „Ich bin zu dick!“, Fraktion ins Spiel. Und die „Männer haben tolle Muskeln“, Truppe. Als Lesbe kann ich darüber nur lachen. Wahre Stärke hat nichts mit dicken Muskeln zu tun.
Als ich noch Wettkämpfe bestritt bin ich auf durchaus muskulöse Frauen getroffen. Die waren mir an Körperkraft deutlich überlegen. Doping im Breitensport, Kontrollen gab es nicht.
Hochaggressive Gegnerinnen zu haben, ist kein Zuckerschlecken. Das gilt auch für den noch aggressiveren Mann. Und manchmal wäre es schon toll gewesen über mehr Kraft und mehr Körpergröße zu verfügen. Aber mit Geduld und guter Technik kommt auch eine (kleine) Frau ans Ziel. Verloren haben immer nur die anderen. Verloren hat die pure Körperkraft.
Ein Argument gibt es, das mich nachdenklich macht: als Frau kann ich keine Kinder zeugen.
Aber ist das der Grund ein Mann zu sein? Sind Männer reine Samenspender?
Für Lesben schon und das ist nun nicht abwertend gemeint. Aber wahre Lesben haben keinen Sex mit Mann. Cousin Ken hat kein Problem uns (Yuki) in der Zukunft auszuhelfen. Und Cousin Ken ist mein zweitliebster Mann. Wären alle Männer wie er und mein Vater, die welt sähe für mich weniger feindlich aus.
Viele Menschen haben irgendwann in ihrem Leben den Wunsch verspürt, das jeweils andere Geschlecht zu sein. Auch klein Mayumi hat diesen Satz gesagt. Aber diese Tage sind vergangen, heute bin ich gerne Frau. Und meine beste Freundin. Das hat schon Diane von Fürstenberg erkannt:
„Wenn eine Frau sich selbst die beste Freundin ist, wird das Leben einfacher.“
Männer, das sind die anderen. Und die haben keine Macht über mich.
Diese Macht hat nur eine gewisse Elfe, die mich vehement vom Schreibtisch zieht.
Bei ihr mag ich kein Mann sein, bei ihr werde ich zur schwachen Frau.
Lass die Leute reden!
Die Band Rosenstolz kenne ich schon seit vielen Jahren. Die Musik hat mich immer tief bewegt. Ein Song den ich besonders mag heißt „Lass sie reden.“ Als Lesbe bin ich es gewohnt, dass die Leute über mich reden. Ich bin ja anders! Aber bin ich das wirklich? Was macht mich so seltsam, so anders? Dass ich nicht in die Moralvorstellungen von Heten passe? Dass ich noch nie einen Mann geküsst habe? Auf die entsprechende Frage von Mann gibt es eine (lesbische) Standardantwort, die immer wieder für Heiterkeit sorgt: „Nein, hast du schon?“
Mir ist bewusst, dass mich nicht alle Menschen mögen. Einige haben vermutlich Angst vor mir. Nicht vor meiner „Kraft“, aber vor meiner (inneren) Stärke. Mir ist bewusst, dass ich als Lesbe noch immer nicht völlig akzeptiert bin. Aber ich möchte kein Mitglied einer homophoben Gesellschaft sein. „Jeder hat es ja gewußt jeder hat es ja geahnt, dass mit dir etwas nicht stimmt“, heißt es in dem Lied. Aber ist es nicht eben jene Gesellschaft, die etwas seltsam ist?
Ich war immer schon unbequem. Ein Querkopf. Ein (kleiner) Freigeist. Kämpferisch, emotional, mutig, selbstbewusst, frech und nicht ganz dumm. Mein zugegeben großes Ego hat mir schon oft Ärger eingebracht. Aber ich kann weder tatenlos zuschauen, wie ein alter Mann verprügelt wird, noch im stillen Kämmerlein sitzen, wenn eine Schwester seelischen Beistand braucht. Von sich selbst überzeugt zu sein ist vermutlich nicht der größte Fehler. Überzeugend sein zu wollen vermutlich schon.
Mir ist bewusst, dass ich oft belehrend auf andere Menschen wirke. „Oberlehrerhaft“, wie es eine Freundin bezeichnete. Na und? Lass die Leute reden! Ich mag niemanden belehren. Niemand muss mir auf meinem Weg folgen. Was ich zu sagen habe sage ich. Ohne Rücksicht. „Ich bin wie ich bin und das ist alles was ich bin“, lautet ein Zitat. Mehr wollte ich nie sein. Aber ich glaube, das ist schon eine ganze Menge mehr, als andere Menschen jemals sein werden.
„I have a dream …“, hat Martin Luther King einst gesagt. Er hat diesen Traum nicht mehr erlebt. Auch ich habe einen Traum. Und dieser Traum hat eine Farbe. Sie ist bunt, wie der Regenbogen. Und jeden Tag spannt sich dieser Regenbogen über ein anderes Land der Welt. Im Gegensatz zu Martin Luther King werde ich meinen Traum (er)leben. Ich träume ihn täglich. Stück für Stück. Und die Leute, die lasse ich reden. Redet wer mit?