Olympisches Karate: Gegen jede Regel

Olympisches Karate: Gegen jede Regel

Bereits vor einigen Wochen hatte ich damit begonnen diesen Beitrag zu schreiben, der aus privaten Gründen nur halb fertig geworden ist. Die Antwort auf einen Leserkommentar hat ihn schließlich möglich gemacht.

Stolz

Als Japanerin bin ich stolz darauf, dass wir wenigstens einmal Karate bei Olympia sehen konnten. Leider steht Karate 2024 nicht mehr im Programm. Der aus der Kampfkunst entstandene Sport, ist und bleibt ganz offensichtlich für ein Massenpublikum unattraktiv.

Vor einigen Jahren, als bekannt wurde dass Karate olympisch wird, war die Freude in Japan groß. Mein Vater hat sogar bei der Vorauswahl von Athleten mitgewirkt. Er hat das gegen seine Überzeugung, aber für Japan getan. Als Vertreter des traditionellen Karate, ist ihm der daraus entstandene Sport suspekt. Trotzdem hat er auch mich für Wettkämpfe trainiert.

Karate

Karate ist lediglich ein Oberbegriff für mehrere Stile, von denen der relativ junge Shōtōkan-Stil der weltweit bekannteste ist. Gefolgt allerdings von dem traditionsreichen Gōjū-Ryū. Die von manchen Shōtōkan-Anhängern propagierte Überlegenheit ihres Stils endet meist dort, wo alles seinen Anfang nahm, auf Okinawa. Die dortigen Meister sind und bleiben eine Klasse für sich. Das hat man mittlerweile auch wieder in Japan verstanden und besinnt wieder auf die alten Traditionen.

Es ist dieser scheinbare Widerspruch, der die Weiterentwicklung von Sportkarate blockiert. Als ehemalige Wettkämpferin wusste ich, wie unattraktiv Sportkarate bei Olympia aussehen kann. Meinen ersten Kampf habe ich als Teenager durch Disqualifikation verloren. Ich hatte die Regeln verletzt, als ich meine Gegnerin „illegal“ zu Boden brachte. Gōjū-Ryū kombiniert mit Daitō-ryū Aiki-jūjutsu Techniken, war leider nicht erlaubt.

Regeln!?

Aber genau diese starren Regeln sind es, die Karate quasi kastrieren. Zwei Sportler stehen sich lauernd gegenüber, keiner will die erste Bewegung machen. Die meisten hüpfen auf der Stelle, wirkliche Aktionen sind kaum zu sehen. Die Handschuhe tragen ebenfalls dazu bei, dass Techniken schwierig bis unmöglich sind.

Die angesprochene Unterbrechung des Kumite nach einem Treffer ist der Tradition geschuldet. Traditionelles Karate dient der Selbstverteidigung, ein Angreifer wird durch einen Konter außer Gefecht gesetzt. Für den Sport bedeutet das die Vergabe von Punkten. (M)Eine Idee um Sportkarate attraktiver zu machen, wären drei Runden ohne Unterbrechung bei Treffern. Analog zum Taekwondo oder Amateurboxen. Dann würde man mehr Dynamik sehen.

Falsche Bilder 

Eine weiteres Problem von Karate ist die vor allem im Westen falsche Sicht auf diese Kunst. Eine Mitschuld daran haben die „Chinafilme“, die in den 1970er Jahren gedreht worden sind. Hongkongs Filmindustrie hat die fernöstlichen Kampfkünste mit spektakulären Szenen auf die Leinwand gebracht, die Zuschauer haben das für bare Münze genommen.

Auch in Hollywood wurden ähnliche Filme gedreht, das Missverständnis nahm seinen Lauf. Das aus dem Karate entstandene Kickboxen, ist für Zuschauer wesentlich attraktiver. Ob es jemals seinen Weg nach Olympia findet, ist ungewisss.

The Winner takes it all

Mein Vater hatte mich bereits vor mehr als einem Jahr gefragt, ob ich bei den nationalen Ausscheidungen mitmachen möchte. Papa liebt solche Scherze. „Nee, Väterchen“, habe ich gesagt, „das wäre unfair den anderen Mädels gegenüber.“ Wer hinter meinen Worten Arroganz vermutet, hat keine Ahnung von japanischem Humor.

Zwar würde ich mir auch mit Mitte Dreißig eine Teilnahme zutrauen, was mir jedoch fehlt ist Wettkampferfahrung. Ich habe seit fast zwanzig Jahren auf keinem Turnier gekämpft. Andere im sportlichen Wettkampf zu besiegen, war mir nach einigen gewonnenen Kämpfen nicht mehr wichtig.

Die Enttäuschung

Nicht nur in Japan, weltweit ist bei vielen Karateka die Enttäuschung darüber zu spüren, dass Karate nun doch wieder aus dem Programm gestrichen worden ist. Aber die Sportler trifft keine Schuld. Sie haben alles gegeben, was innerhalb der Regeln möglich ist. In Japan selbst zählt oft nur der Sieg. Darauf werden die Sportler seit sie Kinder sind gedrillt.

Die Japan Times berichtet relativ neutral über Karate. Trotzdem glaube ich zumindest zwischen den Zeilen eine gewisse Enttäuschung zu lesen, wobei es aber um die wenigen Medaillen geht. Siege sind in Asien wichtiger, als die reine Teilnahme an einem großen Event. Ich werde eine mögliche Diskussion über die Zukunft von (Sport)Karate beobachten.

Taekwondo vs Karate

Das unter anderem aus den japanischen Shōtōkan-Karate entstandene koreanische Taekwondo, ist durch seine hohe Dynamik und die vielen Tritte für Zuschauer attraktiv und daher fraglos ein Gewinn für das olympische Programm. Über einige Wettkampfregeln kann man allerdings geteilter Meinung sein.

Die Enttäuschung über das schnelle Aus für Karate, wird mit Sicherheit Grundlage vieler Diskussionen sein. Weder mein Vater noch ich werden uns darum kümmern. Wir leben unser Karate und unterrichten es so, wie es gut und richtig ist.

Gegen jede Regel

Schon mehrfach habe ich über das (gute) Verhältnis zu meinem Vater geschrieben. Von ihm habe ich die eiserne Disziplin geerbt. Dafür redet er weniger und ich umso mehr. Darin bin ich ihm überlegen. Aber das habt ihr bestimmt gewusst.

Dezember 2017. Wir sind im Dojo und trainieren, als mein Vater erwähnt, dass im Januar 2018 ein kleines Karate-Turnier auf dem Programm stehe und er mich gern als Teilnehmerin sähe.

„Das wäre unfair“, wehre ich auf Deutsch ab und sehe ihn schmunzeln. „Was hast du vor?“, will ich sofort wissen, „deine eigene Tochter als Fallobst präsentieren?“

Jedem anderen wäre mein Vater nun vermutlich böse, aber ich konnte schon immer mit ihm machen was ich will. Was sich auch beim Training äußert. Alle tragen den klassischen Karate-Gi nur Yuki und ich sind bunt.

Unsere farbigen Kampfsportjackem stammen aus dem Taekwon-Do und sind sogenannte Schlupfjacken mit V-Auschnitt. Der Vorteil beim Training oder Kumite, sie können sich nicht öffnen.

Väterchens Mundwinkel zucken verräterisch, nur Yuki und er haben mich verstanden. Ich analysiere die Lage und schaue mir die TeilnehmerInnen an. Wir haben einige riesige Talente, die deutlich jünger als meine Biestigkeit sind. Können die mich schlagen?

Mit Ausdauer

Wer die Vorbereitung auf einen Boxkampf kennt weiß, wie hart ein Sportler dafür trainieren muss. Ohne Ausdauer hat man keine Chance. Das gilt auch für Sportkarate, Kickboxen oder Taekwon-Do.

Drei bis vier Trainingseinheiten pro Woche, jeden Tag dehnen, ab und zu Fitness Studio oder Kendo (Schwertkampf), vielleicht auch leichtes Joggen, ist unser Normalprogramm. Aber das ist noch immer zu wenig für ein wirkliches Turnier.

Hinzu kommt der Faktor Zeit,  der Berufstätigen oft als Hindernis im Wege steht. Nicht umsonst sind oft StudentInnen die besten SportlerInnen der Welt.

„Macht dich das Alter langsamer?“, höre ich die Frage kommen. Anfälliger für Verletzungen, wäre eine mögliche Antwort. Wobei ich in dieser Hinsicht keine Probleme habe. Aufwärmen ist bei mir Pflicht.

Alter schützt vor Torheit nicht

Bin ich schon zu alt für Turniere? Für die Olympischen Spiele auf jeden Fall, aber das sehe ich ganz gelassen. Sportkarate war lediglich eine kurze Phase in meinem Leben.

Verloren habe ich nie. Lediglich eine Disqualifikation habe ich zu vermelden. Was darf ich, wie weit kann ich gehen innerhalb der Regeln. Genau da liegt nun auch aktuell mein Problem.

Ich lasse mich überreden und auch Yuki macht mit. Das wird spannend! „Wehe du verhaust mich!“, sagt sie im Scherz, „das wäre Gewalt in der Ehe.“ „Ist klar“, erwidere ich trocken, „wie war das noch mit deiner Hand auf meinem Po?“

Elfchen und ich necken uns bekanntlich gern, aber keine schlägt die andere wirklich. Nur Außenstehende könnten eine Balgerei zwischen uns wirklich falsch verstehen. Noch echter wirkt allerdings ein (gespielter!) Fight mit Cousin Ken, der regelmäßig in Lachanfällen endet.

Kunst gegen Sport

Nun bin ich seit mehr als 10 Jahren ohne Praxis, was sportliche Wettkämpfe betrifft. Wird meine Kunst helfen, wenn es um punktgenaue Treffer geht? Aber ich habe einen Plan und der hat noch immer funktioniert.

Zum besseren Verständnis erkläre ich noch einmal den Unterschied  von Kampfkunst und -sport. Klassisches Karate kennt keinen Erstangriff und dient ausschließlich der Selbstverteidigung. Block, Schlag / Tritt, Gegner tot (besiegt!), um es salopp auszudrücken.

Im Sportkarate werden Treffer gesetzt, die unterschiedlich gewertet werden. SportlerInnen müssen also angreifen lernen. Ich habe meist abgewartet und meine GegnerInnen ausgekontert. Das hat immer funktioniert.

Die Tage vergehen, in jedem Training wird nun fleißig Kumite geübt. Ich zeige wenig und weiche meist nur aus. Tai Chi gegen Karate, das macht mir Spaß. Oder ich überrasche mit hohen Taekwon-Do Kicks, die unerfahrene Karateka oft vor Probleme stellen.

Siebzehn Jahr, dunkles Haar …

Ein siebzehnjähriges Mädchen, das ich Yuna nennen möchte, ist der heimliche Star der kleinen Truppe. Sie stammt aus Okinawa und hat dort Shitō-Ryū Karate trainiert. Ihren Wunsch an Turnieren teilzunehmen, haben ihre Eltern respektiert. Nun trainiert sie bei meinem Vater.

Schnelligkeit und Aggressivität zeichnen Yuna aus, sie ist wirklich gut! Meist trainiert sie mit einem Jungen, der ihr hoffnungslos verfallen ist. Mein Kennerblick kann das sofort sehen. Auch der Teenager ist gut, hat aber keine Chance (bei ihr). Ob ich ihm helfen soll?

„Untersteh dich!“, flüstert Yuki, „die beiden machen das schon.“ „Na gut“, erwidere ich, „dann lege ich eben beide flach.“ Rein sportlich versteht sich! Yuki zuliebe und um niemand zu blamieren, habe ich darauf verzichtet. Bis zum Turnier.

Gegen jede Regel

Yuki schlägt sich tapfer, aber ihr fehlt jede sportliche Kampferfahrung. Daher scheidet sie schon in der ersten Runde aus. „Zum Glück!“, gesteht sie mir später, „Sportkarate ist überhaupt nicht mein Ding!“

Mein Blick über den Tellerrand von Karate, hat mir den Weg zu einem Stil geöffnet, der intuitiv, blitzschnell und hochdynamisch ist. Gegen Kicker gehe ich in den Nahkampf oder hole reine Faustkämpfer von den Beinen.

Auch Yuna gewinnt und kickt im letzten Kampf ihren Verehrer von der Matte. Das Mädel ist wirklich gut! Wer wird die neue Königin?

Yuna hat zwar den 1. Dan, aber keinerlei Wettkampferfahrung. Zwar ist ihr Shitō-Ryū ein guter Stil, aber Zweikämpfe werden von Menschen entschieden.

Mein selbstbewusstes Lächeln ist der erste Punkt (m)ein nicht regelkonformer Wurf das frühe Aus für mich. Aber so ist das Leben, manchmal muss Frau gegen jede Regel sein.

Mein Vater verdreht die Augen und Yuna verbeugt sich noch vor der Siegerehrung vor mir. Keine Ahnung, was das nun wieder bedeuten soll.

Karate heute – Zurück zu den Wurzeln

Vor mehr als einem Jahr, habe ich den Beitrag „Das ist Karate!“ verfasst. Dort habe ich auf die Unterschiede zwischen der Kampfkunst und dem daraus entstandenen Sport hingewiesen.

Aber noch immer herrscht großes Unverständnis darüber, was Karate wirklich ist. Kickboxer und muskelbepackte Mixed Martial Arts (MMA) Fighter rühmen sich, die besten auf der Welt zu sein.

Aussagen wie diese zeigen nur wieder, dass man(n) wie so oft nichts versteht. MMA ist ein Sport, bei dem es feste Regeln gibt. Traditionelles (Okinawa) Karate dient nur der Selbstverteidigung.

Wieder sind es die beiden Sensei aus dem damaligen Video, die „Karate für die Straße“ zeigen. Und das wie ich finde richtig gut! Vermutlich werden nun einige LeserInnen verblüfft die Köpfe schütteln und sagen „Das habe ich schon anderswo gesehen!“

Ja, das haben sie wirklich, andere Kampfsportarten haben sich nämlich kräftig beim Original bedient. Auch und ganz besonders, das angeblich so tolle MMA, das lediglich die niederen Instinkte der Massen anspricht.

Aber bis auf das damals noch unbekannte Boxen, hat man so schon vor Jahrhunderten auf Okinawa trainiert. Mit allerdings erheblichen Konsequenzen für Angreifer, wenn es den Ernstfall gab.

Immer mehr Sensei besinnen sich auf die Wurzeln des Karate und wollen diese entweder selbst lernen, oder an ihre Schüler weitergeben. Vielleicht hat dieses neue Interesse an (m)einer Kunst etwas mit den Olympischen Spielen in Japan zu tun und bietet die einmalige Chance, den Wettkampfsport Taekwon-Do abzulösen.

 

 

Wing Chun – Der ewige Frühling

Viele Mythen und Legenden ranken sich um die fernöstlichen Kampfkünste. Von unbesiegbaren HeldInnen und wundersamen Techniken ist die Rede, die jeden Gegner lässig niederstrecken.

Das ist so dumm wie falsch und schon allein das Wort Gegner ist dabei der falsche Begriff. Ursprünglich hat man Wushu / Kung Fu zur körperlichen und geistigen Fitness erschaffen. Erst viel später haben die Shaolin Mönche daraus die Kunst der Selbstverteidigung gemacht.

Die kämpfende Kunst

Vor einigen Monaten hatte ich am Beispiel Karate über den Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport geschrieben und warum die reine Kampfkunst in einem Wettkampf unbrauchbar ist.

Wer diese Artikel noch nicht kennt, der darf gern HIER und HIER klicken.

Bei meinem Aufenthalt in den USA, habe ich mehrfach mit Sifu Feng über dieses Thema gesprochen. Auch sein Wettkampf Tai Chi ist nur die abgewandelte Form jener Kunst, die in Konkurrenz zu den aus dem Shaolin „Kung Fu“ entwickelten Stilen steht.

Für Feng überraschend, dass ich als Karateka, die „Klebenden Hände“ beherrsche. Einerseits gibt es die auch im Goju Ryu Karate und andererseits im Wing Chun. Und auch das habe ich gelernt.

Wing Chun, das man mit „Ewiger Frühling“ übersetzen kann, ist ein vermutlich im frühen neunzehnten Jahrhundert entstandener südchinesischer Kung Fu Stil, der seit den 1970er Jahren auch Furore im Westen macht. Leider haben Geschäftemacher viel kaputt gemacht, aber das soll heute kein Thema sein.

Kurz vor meiner Abreise hatte Feng Besuch von einem befreundeten Sifu, der als Kind und Jugendlicher zehn Jahre lang Wing Chun trainierte und vor fast zwanzig Jahren zum Tai Chi gewechselt ist. Gemeinsam haben wir die beiden Systeme analysiert und die Unterschiede herausgestellt. Und das war auch für mich hochinteressant.

The men of Tai Chi

Sifu Dan ist Amerikaner und knapp vierzig Jahre jung. Sein Stiefvater habe bei Hawkins Cheung in Los Angeles trainiert und ihn zum Training mitgenommen, erzählt er uns. „Als Kind hat mir Wing Chun geholfen“, sagt er. „Ich war ein schmächtiges Kerlchen und immer Opfer der älteren Schüler. Als ich mich erstmals wehrte, haben sie mich in Ruhe gelassen.“

Fast automatisch erscheinen die Bilder in meinem Kopf, die mich als siebenjähriges Mädchen auf dem Pausenhof der Schule zeigen und als „Opfer“ eines üblen Streichs. Ein Mitschüler hatte mich ohne Vorwarnung zu Boden gestoßen, beleidigt und dabei noch gelacht. Mein Karate hat ihm dann Manieren beigebracht.

„That’s life in the USA“, stichelt Feng und lacht. Die Männer nicken wissend, als ich meine Geschichte erzähle. „Ich glaube das haben wir alle durchgemacht“, sagt Dan. „Aber im Gegensatz zu anderen sind wir wieder auf die Füße gekommen.“

„Warum und wann hast du mit Wing Chun aufgehört?“, will ich wissen. Seine Antwort ist überraschend. „Nicht aufgehört“, lässt er mich wissen, „in meiner Schule wird auch Wing Chun unterrichtet. Nur unser Schwerpunkt ist Tai Chi.

Ich bin als junger Bursche zu den Marines. Wing Chun hat mir zu Beginn meiner Ausbildung geholfen, aber als wir Bodenkampf und Boxen übten, stand ich auf verlorenem Posten.“

Ich ahne warum, aber will es genauer von ihm wissen. „Woran genau lag es deiner Meinung nach?“ „Wir haben bei Hawkins zu wenig Sparring gemacht und nie mit fremden Stilen geübt. Alles war sehr theoretisch. Und ich kann schlecht einem Trainingspartner die Knochen brechen.“

Gegen jede Regel

Dan spricht ein Problem an, das viele Kampfkünstler haben, wenn sie in einem Ring nach Regeln kämpfen sollen. Schläge zum Kehlkopf oder Tritte in den Unterleib gehören zur Selbstverteidigung, im Sport sind sie aus gutem Grund verboten.

Auf der anderen Seite gibt es aber diese Arroganz scheinbarer Überlegenheit im Lager der Wing Chun Verfechter. Und das ist, bei aller Sympathie für diesen Stil, eine glatte Lüge. Dan sieht das ebenso. „Hawkins Cheng ist ein netter Kerl. Aber er hat auch den 3. Dan im Karate.

Viele, die sich jetzt Sifu nennen und wirklich gute Wing Chunler sind, haben noch einen zweiten oder dritten Hintergrund. Sie mixen diverse Stile und erst das macht sie gut. Oder sie schummeln, wie Sifu Moore.“

Dan zeigt uns ein Video, das ich ebenfalls kenne. Ein beleibter Mann, wird von einem schmächtigen Karateka „angegriffen“ (Sparring) und schiebt diesen dann quasi vor sich her. Das hat wenig mit Wing Chun, aber viel mit physikalischen Gesetzen zu tun. Der Mann ist einfach schwerer. Punkt.

„Ein großer Nachteil diverser Stile, ist der Fokus auf Hände und / oder Füße“, sagt Dan. „Wir können Tritte und Schläge, aber am Boden verlieren wir.“ „Das klingt wie Werbung für Brasilian Jiu-Jitsu (BJJ)“, stichele ich. „the most effective Martial Arts on the Planet.“

And the winner is …!

Herzliches Lachen folgt meinen Worten, die beiden verstehen den Gag. „BJJ ist in erster Linie Sport“, sagt Dan und auf der Straße völlig unbrauchbar. Das gilt für alle ringenden Sportarten. Kein Mensch wälzt sich auf dem Asphalt.

Die scheinbare Überlegenheit von BJJ basiert auf dem Überraschungseffekt, den auch Wing Chun kennt und auf deren Regeln. Bei Vergleichskämpfen mit BJJ scheuen sich andere Sportler sehr oft, die wirklich effektiven Kicks oder Schläge zu landen.“

„Oder sie dürfen nicht“, füge ich hinzu. „Bei Judoka oder Ringern sieht das ganz anders aus. Kein BJJ-Sportler steht lange gegen einen guten Freistil Ringer. Man kann solche Sportarten ganz schlecht vergleichen.“

„Ich sehe Wing Chun als eine Sonderform unter den Kampfkünsten“, sagt Dan und nickt zustimmend. „Es ist reine Selbstverteidigung und eine Art Straßenkampf. Relativ einfach aufgebaut gibt es dort keine Geheimnisse. Die werden nur von diesen selbsternannten Großmeistern Leung Ting und Keith Kernspecht propagiert. Jeder kann Wing Chun erlernen. Dafür braucht es keine Ewigkeit.“

„Mit erlernen meinst du die Formen oder die Techniken inklusive Schmetterlingsmesser und Langstock?“, frage ich. „Wenn du Wing Chun als reine Kunst siehst und wirklich jede Handbewegung akribisch und auf den Millimeter genau lernen möchtest, wirst du vermutlich ewig brauchen“, erwidert Dan. „Und du wirst im Ernstfall die Prügel deines Lebens beziehen. Die meisten Wing Chunler können nicht kämpfen.“

Dans Worte sprechen das Problem an, das ich am Beispiel Aikido verdeutlichen will. Aikido ist als Wettkampfsport völlig ungeeignet und nur die kultivierte Form des Aikijujutsu. Bei Wing Chun ist das ähnlich. Nur gibt es dort keine offizielle sportliche Form. Eventuelle Wettkämpfer sind einfach nur Kickboxer.

Die Analyse

Dan holt einen Schnellhefter aus der Tasche und zeigt uns auf mehr als fünfzig Seiten seine Analyse von Wing Chun und Tai Chi. Grob gesagt ist sein Fazit, dass Tai Chi das wesentlich komplettere System ist, schwieriger zu lernen, aber im Endeffekt effektiver.

„Wing Chun ist nicht komplett“, erklärt Dan. „Man hat dort Elemente aus dem Tai Chi und vermutlich dem Shaolin Kung Fu sozusagen extrahiert und um ein imaginäres Dreieck herum modifiziert. Ich spreche von den kurzen, schnellen Bewegungen, die immer die eigene Mitte schützen und gleichzeitig zum Zentrum des Gegners gehen.

Der Erfolg, den einige wirklich gute Wing Chunler mit dieser Methode haben, basiert lediglich auf dem Überraschungseffekt. Aber mit einem Kettenfauststoß gewinnt man keinen ernsthaften Kampf. Mit einem Tritt in den Unterleib schon.“

„Das ist mein Spruch!“, protestiere ich lachend. „Ich glaube ich weiß, was du meinst. Auch Karate kommt ursprünglich aus China und ist vermutlich aus dem Weißen Kranich Stil entstanden. Aber Japaner sind Puristen und haben überflüssige Bewegungen eliminiert, was sehr gut im Shotokan Karate zu sehen ist. Mein Stil, das Goju Ryu, ist noch näher am Original.“

„Tai Chi basiert auf einem Kreis“, fährt Dan fort und Feng stimmt zu. „Greift ein Gegner an, wird der Wing Chunler der Kraft ausweichen oder um sie herum arbeiten und gleichzeitig attackieren. Tai Chi wird die Kraft, den Schlag oder Tritt quasi aufnehmen und absorbieren, um erst dann zu attackieren.

Dreieck und Kreis

Die Bewegungen beim Tai Chi sind kreisförmig, um es einfach auszudrücken. Beim Wing Chun dagegen eckiger (Dreieck Prinzip). Ein weiterer Unterschied liegt im sogenannten Trapping, dem immobilisieren der Arme oder Beine.

Das funktioniert im Training für Wing Chunler wunderbar. Im realen Leben habe ich so meine Zweifel. Steht mir ein muskulöser Kraftmensch gegenüber, so geht das in den meisten Fällen gewaltig schief.

Tai Chi macht das besser, indem man einen Gegner aus der Balance bringt. Greift jemand nach mir, gebe ich nach und leiste keinen Widerstand. Bis zu diesem Punkt kann man sich darüber streiten, ob beide Systeme nicht teilweise das Gleiche machen, wenn auch mit anderen Methoden.

Der größte Unterschied liegt aber meiner Meinung nach in der Sensitivität. Wing Chuns klebende Hände sollen hier das Maß aller Dinge sein, was nur zum Teil richtig ist. Nicht nur Wing Chun kennt diese Form, wie Mayumi schon angesprochen hat, gibt es die auch im Okinawa Karate und anderen Kung Fu Stilen.

Mit dem Unterschied, dass im Wing Chun leider wirklich nur die Arme sensibilisiert werden, im Tai Chi aber der ganze Körper. Wing Chun gilt als reiner „Close Range Combat.“ Und das macht das System recht gut. Bis man, rein theoretisch, auf den Weltmeister im Kyokushin-Karate trifft.“

Kick it

Wir müssen alle lachen. Dan spricht von den blitzartig aus nächster Nähe nach oben gezogenen oder gesprungenen (Dreh)Kicks zum Kopf, mit denen ich Feng im Sparring überraschte. „Wing Chun übt Druck nach vorn (auf den Angreifer) aus“, fährt Dan fort, „aber es geht immer nur um die Mitte, das Zentrum.

Tai Chi ist ein 360 Grad System, das sich wie ein junger Baum verhält. Zieht man daran oder drückt und lässt dann los, geht der Baum in seine ursprüngliche Position zurück. Tai Chi attackiert den ganzen Körper und ist das wesentlich komplettere System. Falls man es bis zum hohen Level schafft.“

„Der Blick über den Tellerrand ist wichtig“, ergänze ich. „Unbedingt!“, stimmt mir Dan zu. „Es geht mir nicht darum einen Stil zu verteufeln und die Überlegenheit eines anderen anzusprechen, aber viele meiner Schüler haben vorher etwas anderes gemacht und sind nun wesentlich zufriedener mit ihren Erfolgen.“

„Könnte man Wing Chun als Einstieg in die Welt der Kampfkunst sehen?“, will ich wissen und Dan nickt. „Das hast du gut formuliert“, erwidert er, „aber ich sehe das komplexer.

Wie ich schon sagte ist Wing Chun ein einfaches System, das vor allem für körperlich schwächere Menschen interessant ist. Vor allem für Frauen.“ Er grinst, als er meinen Mittelfinger sieht. Humor, den auch Dan versteht.

Hinterm Horizont geht’s weiter

„Du wirst dort viele treffen, die kaum Fitness haben oder einfach unbeweglich sind“, fährt er fort. „Für die wäre Karate Mord. Auch für Kinder ist Wing Chun eine tolle Sache. Aber wer Wunder erwartet, wird bitter enttäuscht.

Wer dazu in der Lage ist und echte Fortschritte machen möchte, dem rate ich sich auch anderweitig umzusehen. Ohne den direkten Vergleich, wird man immer limitiert bleiben. Und die angeblich so guten Wing Chunler aus Hongkong machen in Wirklichkeit nur Sanda (Chinesiches Kickboxen).“

Auch Feng stimmt zu. „Ja“, sagt er, „das habe ich mittlerweile auch erkannt. Ich musste auch Kickboxen lernen, um bei Meisterschaften erfolgreich zu sein. Trotzdem hat mir mein Tai Chi Hintergrund dabei geholfen. Und schon Bruce Lee hat die Stile gemischt.“

Unvermischt und pur bleibe nur ich meinen LeserInnen erhalten. Auch wenn ich Deutschland nächste Woche wieder in Richtung USA verlassen werde.

Karate – Tradition und Moderne

Immer wieder treffe ich auf Menschen, die Karate falsch verstehen. Karate ist für sie nur Mittel zum Zweck. Und dieser Zweck sind oft Prügeleien. Manche Männer müssen sich nun mal beweisen, wer der bessere Dummkopf ist. Aber was ist nun Karate wirklich und wo genau liegt der Fehler dieser Menschen?

Hauen, prügeln und eine blutige Nase, ist im (Box)Ring zur Mode geworden. Mixed Martial Arts (MMA) und Ultimate Fighting Championship (UFC) bestimmen die Szene. Zwar gibt es Regeln in der UFC, aber Platzwunden und Brüche zu haben, ist offenbar für manche Kämpfer Trend.

Kickboxen und MMA verhöhnt die Grundidee und befriedigt die Gier nach Blut und Sensationen jener Menschen, deren niedere Instinkte durchgebrochen sind. Mit traditionellem Karate hat das wenig zu tun. Davon haben die Plattmacher im Ring keinen Plan.

Die Wurzeln des Karate liegen in China. Nachforschungen wollen den Weißen Kranich Stil als Urform des Karate identifiziert haben. Und zumindest in den Okinawa Stilen finden sich noch Ähnlichkeiten zum chinesischen Wushu, das man im Westen stets und falsch als Kung Fu bezeichnet.

Zwingend unterscheiden und auch verstehen müssen heutige Karate Schüler, den Unterschied zwischen traditionellem und modernem Karate. Das traditionelle Karate ist eine Kampfkunst. Geschaffen zur Selbstverteidigung, war es die Kunst des Überlebens für die damaligen Menschen und eignet sich denkbar schlecht für sportliche Vergleiche.

Das Aussehen der Techniken war dabei zweitranging, die Wirkung war alles. Die schnörkellosen Bewegungen des morderen Karate, haben sich erst nach und nach entwickelt.  Im Ernstfall war ein Angreifer sehr schnell außer Gefecht gesetzt. Was aber niemals das eigentliche Ziel gewesen ist.

Traditionelles Karate war mehr als nur Training und Kampf. Zen-Buddhismus, Meditation und Heilkunde waren Bestandteile, die man heute leider vergessen hat. Im Karate hat man Geist und Körper gestählt. Erst in den USA hat man daraus Kickboxen gemacht. Aber Showkämpfe hat es im alten Karate nie gegeben.

Ziel des traditionelle Karate war es auch, den menschlichen Charakter so zu formen, dass es ihm möglich war ohne Gewalt den Sieg über einen Gegner zu erzielen. Und genau an dieser Stelle setze ich an, um den Denkfehler vieler moderner Karateka aufzuzeigen, die den Fokus nur auf den kämpferischen Aspekt von Karate legen. Und das ist so falsch wie dumm.

Modernes Karate, für das ich stellvertretend das Shtotokan Karate nennen will, ist ein Kampfsport, der nur noch den gleichen Namen wie die klassische Variante trägt. Die Karateka begegnen sich freundschaftlich, der Sieger wird nach festen Regeln ermittelt.

Aber modernes Karate hat mehr als nur Wettkämpfe zu bieten. Es ist zum Breitensport geworden und eignet sich auch als Bewegungstherapie für ältere Menschen. Das eigentliche Problem sind jene Meister, die selbst keine Ahnung von Traditionen haben.

Mein Vater hat einmal gesagt, dem moderne Karate drohe eine Versportlichung durch den Wettkampf. Inklusive bleibender Schäden bei den Trainierenden, die sich durch Fehlbelastung die Gelenke ruinieren. Es fehle auch am nötigen Respekt dem Trainingspartner und dem Sensei gegenüber. Was augenzwinkernd in meine Richtung ging.

Natürlich meinte er damit jene Kickobxer, die keinerlei Bezug zu Traditionen haben. Von den Karate Prinzipien haben die noch nie gehört. Und statt sich in Meditation zu üben, werden lieber die Gegner verkloppt.

Modernes Karate muss nicht schlechter, als sein traditionelles Vorbild sein. Schlechter sind leider nur diverse Meister, die diesen Titel zu Unrecht führen. Die Fähigkeit eines guten Lehrers liegt nicht unbedingt in der Weitergabe von bestimmten Informationen, sondern vielmehr darin, den Geist eines Schülers zu wecken.

Wer sich wirklich für die alten Kampfkünste, oder ihre modernen Sport Varianten interessiert und einen guten Meister findet, wird den Schritt zum Karate nie bereuen. Wer nur prügeln will soll auf die Straße gehen.

Großmäuler, die den Vergleich ihres Kampfsports mit Karate suchen sollten besser nachdenken gehen. Kein reiner Wettkampfsportler kann (im Ernstfall) gegen einen traditionellen Karateka bestehen. Dazu fehlt ihm jede Klasse.

Krieg der Welten

Krieg der Welten ist ein Film. Und kein schlechter seiner Art. Auch die Menschen streiten oft über ihre „Welten,“ über Politik und Religion. Vehement und zur Not mit Gewalt, wird die eigene Meinung durchgesetzt. Faire Diskussionen Fehlanzeige. Sogar in Blogs wird oft heftigst getritten.

Fanatiker und Besserwisser zwingen uns ihre Sicht der Dinge auf. Und wehe ein Kommentator widerspricht! Sofort werden die Messer gewetzt. Aber fair ist anders. (Verbale) Tritte in den Unterleib haben bei Diskussionen keinen Platz. Auch im Sport-Karate sind die verboten. Ein Straßenkampf sieht völlig anders aus.

Vor einigen Tagen gibt es auch in unserem Dojo Krieg. Zumindest aber eine Schlacht. Zwei Welten begegnen sich. Thailand, durch einen jungen Mann vertreten. Und Deutschland, mit Wing Chun. Verstärkt durch japanisches Karate, also mich.

Als ich Anuphab (Thai für „Der Kräftige“) sehe, mag ich kaum meinen Augen trauen. Vor mir steht eine 1:1 Kopie der Muay Thai Legende Buakaw! Und mit dem will keiner wirklich in den Ring. Aber Anuphab ist anders, ein großer Junge mit viel Spaß am Sport.

Der junge Thai ist ein kleiner Star in seiner Stadt und hat schon viele Kämpfe in Ring gewonnen. Auf die Idee ihn nach Deutschland einzuladen, ist unser Sifu gekommen. Er traf Anuphab, als er im Thailand Urlaub war. Er finanziert den Flug und gibt dem Thai auch Unterkunft. Der freut sich sichtlich. Wir uns auch.

Mit 24 Jahren ist Anuphab auf dem Höhepunkt seines Könnens. Im Ring steht er seit er ein Junge ist. Den Wing Chun Schülern soll er helfen, den Blick über den Tellerand zu lenken, den viele leider niemals wagen. Unbesiegbar ist niemand. Das glauben viele nur.

Anuphab spricht Thai und ein wirklich exzellentes Englisch. Als er mich sieht stutzt er kurz. Und verbeugt sich prompt, als der Sifu erklärt wer ich bin. Auch Karate hat in Thailand Stellenwert. Meister ehrt Meisterin, auch ich verbeuge mich. Weniger tief. Dafür ist es mein Lächeln.

Muay Thai ist ein harter Sport. Die schnellen Kicks zum Oberschenkel können schmerzhaft sein. Und ein Knie im Bauch ist oft das Ende eines Kampfes. Anuphab zeigt Dinge, die fast alle staunen lassen. Muay Thai Boran, die Urform des heutigen Sports, ist noch eine Spur effektiver. Und auch die kann der „kräftige Mann.“

Anuphab ist keine Spur arrogant. Er hat sichtlich Freude am Training, lacht viel und korrigiert, wenn die Schüler etwas nicht verstehen. Er mag Wing Chun und auch Karate. „Ich habe alles schon probiert“, verrät er uns. Auf die Ähnlichkeit mit Buakaw angesprochen winkt er nur ab. „Thais sehen doch alle gleich aus“, sagt er locker und zwinkert dabei. „Den Rest macht die Frisur.“ Humor, wie ich ihn mag.

Im Gegensatz zu anderen Wing Chun-Clubs gibt es bei uns regelmäßig Sparring. Heute mixen wir die Stile. Aber schnell wird klar, dass kein Schüler dem jungen Thai das Wasser reichen kann. Der ist viel zu gut. Nur das Trainer-Duo hat Chancen gegen den Dynamiker. Ich halte mich vorerst zurück.

Genau das scheint Anuphabs Neugier zu wecken. „Darf ich dir meine Kunst zeigen?“, fragt er und verbeugt sich wieder. Buddha hilf, ist nun mein Ende nah? Nun mögen viele LeserInnen glauben, dass ich den Burschen locker weghauen kann. Das gilt für den Alltagsmenschen, der meist unsportlich ist. Und auch für überhebliche Typen, die viel zu langsam für mich sind.

Gegen einen echten Thai Boxer sehen die meisten anderen Kampfsportler mehr als nur dämlich aus. Nämlich immer dann, wenn sie nach deren Regeln kämpfen. Gleiches gilt für Thai Boxer, wenn sie z. B. Judo machen. Dort werden auch sie vorgeführt. Bei einem „Kampf“ gewinnt kein Stil. Es gewinnt der Mensch, der besser ist.

Außerdem sprechen wir von Sport, von Regeln. Und auf Muay Thai-Regeln lasse ich mich kaum ein. Ein brutaler Tritt von Mann auf meinen Oberschenkel, wäre das Aus für mich als Frau. Und ein hohes Knie mein Ende. R.I.P. Mayumi-San!

Kneife ich, bin ich nur eine Papiertigerin? Ich nehme an. Lächelnd. Japans Sonne geht im Dojo auf. Und die Thailands unter, als ich Anuphab mit einem gesprungenen Drehkick-Konter von den Beinen hole. Taekwon-Do in Reinkultur und mein Blick über den Tellerrand.

Ich bin das, was man eine „Konterboxerin“ nennen kann. Wer die Hand gegen mich hebt, hat schon verloren. Und Hemmungen sind mir fremd. Vor allem, wenn ich Männer hauen darf. Denen bin ich darin überlegen. Was ich auszunutzen weiß. Und Angst hatte ich noch nie.

Anuphab bleibt länger liegen als nötig. Sein Grinsen ist filmreif. Wirklich hart habe ich ihn nicht getroffen, es war mehr ein „Wischer“, aber gut. Er kommt auf die Beine und applaudiert. Kein Hass, kein Zorn, er nimmt die Niederlage an. Aber es geht noch weiter in Runde 2.

Er tänzelt, täuscht und feuert seine Linke blitzschnell ab. Träfe sie, ich wäre KO. Aber wie schon Buakaw in seinem Kampf gegen Yi-Long weiche ich dem Jap mühelos aus, der ohnehin nur angedeutet war. Statt selbst zu schlagen drehe ich mich in den Mann, greife seinen Arm und lasse eine kleine Bewegung folgen. Anuphab fliegt über meinen Rücken und landet krachend auf den Hosenboden.

Sein herzliches Lachen ist ansteckend. „Das hat schon lange keiner mehr mit mir gemacht“, verrät er mir. „Mein älterer Bru …“ Anuphab unterbricht sich und holt tief Luft. „Meine ältere Schwester schon“, fährt er dann fort und schaut mich an. „Sie war eine Meisterin des Sports. So, wie du.“

Ich ahne die Wahrheit mehr, als ich sie zu diesem Zeitpunkt weiß. Anuphabs Schwester war eine Kathoey, eine Transsexuelle, die vor einigen Jahren bei einem Unfall starb. „Sie hat mich unterrichtet“, erzählt er später“, als er begreift, dass ich lesbisch bin. „Ohne sie, wäre ich nie so weit in diesem Sport gekommen.“

Im Verlauf des Abends taut er noch weiter auf. „Gay means happy, right?“, sagt er und lacht schon wieder. Krieg der Welten führt er nicht. Wir haben längst aufgehört zu sparren. Anuphab hat breit grinsend erklärt, dass er Frauen niemals schlagen kann. Ein Schlitzohr, das Wortspiele kennt.

Karate, Kids und Disziplin

Kinder lernen Dinge spielerisch. Das war schon immer so. Und Kinder lernen auch Karate. Vor allem, wenn sie Japaner sind. Auch Japaner haben einen Kindergarten. Und klein Mayumi war natürlich dort. Eine Erinnerung daran habe ich keine, aber ich soll schon damals wild gewesen sein. Gelehrt hat man dort Shotokan-Karate und das war klein Mayumis Ding.

Nun sehe ich schon besorgte Eltern die Stirn in Falten legen und voller Abscheu auf Japan blicken. „Gewalt schon im Kindergarten? Da geht mein Kind nicht hin!“ Und genau da liegt der Fehler. Karate dient nicht der Gewalt. Es ist Sport, Philosophie und eiserne Disziplin. Karate kennt keinen ersten Angriff, das haben uns nur schlechte Filme gelehrt. Und dumme Menschen, die diesen Sport verachten. „Karate beginnt mit Respekt und endet mit Respekt.“ Das ist die erste Regel und sie bedeutet viel. Respekt dem Sensei, den Eltern und anderen Menschen gegenüber. Respekt auch vor sich selbst.

Regel zwei habe ich bereits genannt: „Im Karate gibt es keinen ersten Angriff.“ Karate ist immer Selbstverteidigung. Schutz für das eigene Leben und das Leben anderer. Das aber effektiv. „Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit.“ Der Satz ist selbsterklärend.  „Die Kunst des Geistes kommt vor der Kunst der Technik.“ Und genau hier liegt der Fehler, den Europäer und Amerikaner machen. Sie sehen nur den Kampf, den physischen Aspekt. In einem guten Dojo ist das anders, was mich zu den nächsten Regeln bringt.

„Denke nicht, das Karate nur im Dojo stattfindet. Verbinde dein alltägliches Leben mit Karate, dann wirst du geistige Reife erlangen.“ Im deutschen Kindergarten gab es 1987 kein Karate. Aber Privatstunden von meinem Papa für mich. Ohne Karate, Aikido und Meditation wäre ich vermutlich ein noch schwierigeres Kind gewesen. Aber statt Ritalin bekam ich Liebe und lernte Disziplin. Und das tat ich richtig gut. Meine Wut war kanalisiert und ich habe den Sandsack drangsaliert. Mit Inbrunst und Leidenschaft. Gewalt ist anders.

Das lebenslange Training macht den Unterschied zwischen Hobbysportler und Profi aus. Und das möchte ich heute gern als Video zeigen. Leider gibt es keine von mir, youtube war noch nicht erfunden. Aber ich soll gut gewesen sein. Und das bin ich heute noch, was mich zur nächsten Regel bringt. „Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt, wenn du es nicht ständig warm hältst.“

Auch, wenn ich heute meist Aikido, Wing Chun und Krav Maga trainiere, so ist Karate ein Teil von mir und wird es immer sein. Es ist mein Leben, wie auch das Buch von Japans größtem Samurai. „Denke nicht an das Gewinnen, doch denke darüber nach, wie man nicht verliert“, hat Gichin Funakoshi, der Begründer des Shotokan-Karate gesagt. Wer das verinnerlicht und fleißig übt, der braucht keinen Gegner mehr zu fürchten.

„Wandle dich abhängig vom Gegner.“ Ein Gegner kann auch der Alltag sein. Wobei ich den mehr als Herausforderung sehe. Vor allem für hyperaktive Kinder kann Karate also ein Segen sein. Ich kenne so einige Fälle, die das positiv belegen. Und damit ihr besser versteht, was Kindern Karate bedeutet, schaut euch folgendes Video an. Klein Mayumi war übrigens doppelt so dynamisch. Und das bin ich heute noch. Sayonara!

Polizisten, die Prügelknaben der Nation?

Ein Bericht in der WELT, hat mich zu diesem Artikel animiert. Es geht dabei um gleich fünf Polizisten, die von Teenagern krankenhausreif geprügelt worden sind. Wenn ich solche Meldungen lese schüttele ich meist nur den Kopf. Teils sind sie übertrieben, oder einfach schlecht recherchiert. Aber jede Meldung enthält einen Funken Wahrheit. Vielleicht auch einen (großen) Kern.

Nun muss man sich einerseits die Qualiät von Polizisten anschauen. Und da ist es leider nicht sehr weit her. Entweder wir sprechen von gegelten Schönlingen, die eher auf einen Laufsteg, denn auf die Straße gehören, oder von abgestumpften älteren Herren, die kurz vor der Pensionsgrenze stehen. Das aktive Mittelalter sieht man kaum. Die scheinen sich hinter Aktenbergen zu verstecken.

Was Ausbildung, Belastung und Kenntnisse betrifft, so habe ich einen gewissen Einblick in diesen Bereich. Der Polizist als Allrounder, als Bürger in Uniform. Nur wirklich gut können die Uniformierten nichts. Und genau da liegt das Problem. Ich bin nun bestimmt keine Befürworterin von Gewalt. Aber selbst wenn die BeamtInnen richtig zupackenn könnten, sie dürfen es von Seiten der Politiker aus nicht.

An dieser Stelle sehe ich viele LeserInnen skeptisch die Stirn runzeln. Fakt ist, dass die Grundausbildung eines Polizisten ihn nicht zum Kampfsportler macht. Sofern er keinem Spezialkommando angehört, ist ein Streifenbeamter für einen trainierten Boxer, oder Straßenschläger keine wirkliche Gefahr. Und welcher Polizist wird schon seine Waffe gegen zwei unbewaffnete Minderjährige ziehen?

Die WELT schreibt, dass 13-jährige Mädchen habe einen Beutel mit einer Glasflasche bei sich gehabt und damit wild um sich geschlagen. Immer wieder soll sie die Polizisten damit im Gesicht getroffen haben. Und das ist mir dann doch zu hoch. Da stehen fünf Erwachsene einem Kind gegenüber und können es nicht beruhigen. Sofern die Kleine keine neue Mayumi war sind diese BeamtInnen in meinen Augen Stümper. Schlechte Ausbildung, oder nicht.

Ich brauche unter fünf Sekunden, um einem Angriff erfolgreich zu begegnen. Und fünf Sekunden sind schon lang! In meinen Augen ist diese Meldung ein weiteres Armutszeugnis für die Polizei. Und sie wird sehr schnell unter gewaltbereiten Jugendlichen und Erwachsenen die Runde machen und den Zustand in Zukunft noch verschlimmern. Mit Sicherheit fordere ich keinen Polizeistaat, keine wild um sich schlagenden BeamtInnen. Aber zu ihrer eigenen und damit unser aller Sicherheit, sollte die Polizei etwas gegen leicht zu verprügelnde Einsatzkräfte tun.