Nicht nur Gefühle werden oft als Dschungel bezeichnet, auch das Internet gehört dazu. Das Netz ist groß, geheimnisvoll und oft undurchdringlich. Und Teile davon sogar gefährlich. Schlangen lauern dort, die harmlose Wanderer oft aus dem Verborgenen beißen. Meist in Höhe der Waden. Mehr Biss haben sie oft nicht. Gleiches gilt für Papiertiger, die wesentlich offener angreifen, ansonsten aber hamlos sind. Diese zahnlosen Kätzchen sind meist Haustiere der Wortkrieger, der wohl gefährlichsten Spezies im Internet-Wald.
Gut ausgebildet in der Kampfkunst der leeren Worte dominieren sie den Dschungel. Mit tiefem Stand und geifernd vor Eifer findet man sie vor allem am Daten-Fluss. Dieser mächtige Strom teilt das Internet seit vielen Jahren. Auf der einen Seite das Dschungel-Camp, auf der anderen Seite megaschnelle DSL-Lianen. Aber die Hauptwaffe der Wortkrieger sind Ausrufezeichen, die sie mit meisterlicher Pefektion ans Ende jeden Satzes setzen. Mit Nachdruck versteht sich! Damit die Worte niemals enden und stets in Erinnerung bleiben.
Tapfere Abenteurer bekämpfen die Gefahren des Dschungels seit vielen Jahren. Meist mit mäßigem Erfolg. Auch, wenn Papiertiger, Schlangen und Wortkrieger meist harmlos sind, so bringt ihre schiere Masse den aufrechten Forscher oft zu Fall. Und einmal auf das Niveau der Angreifer gefallen, kann er sich meist nicht mehr erheben. Dann versinkt auch er im Sumpf der leeren Worte und ward nie mehr gesehen.
Vor einigen Wochen war ich zu der wöchentlich stattfindenden Talk-Show „Clowns und Soziopathen“ eingeladen. Der Moderator, Dr. dent. Back N. Pfeife, gibt sich alle Mühe. Hier das Interview in voller Länge. Der Kürze halber nenne ich ihn Dr. Pfeife. Das passt zu seinem guten Namen. Und Raucher ist er auch. Mann gönnt sich ja sonst nichts.
Dr. Pfeife: „Guten Abend, Frau Dr. Landar. Könnten Sie unseren sehr verquerten Zuschauern vielleicht ihre Sicht der Dinge präsentieren und wie sie als Expertin für angewandte Kampfkunst, die Gefahren im Internet-Dschungel sehen?“
Ich überlege kurz, wie ich beginnen soll. Das Thema ist nicht einfach und sehr komplex.
„Die eigentliche Gefahr geht meiner Meinung nach weniger von Raubtieren aus“, beginne ich. „Mangelnde Sorgfalt der Wanderer öffnet den Attacken erst Tür und Tor.“
Pfeife: „Was genau meinen Sie mit Sorgfalt? Sollten die Besucher sich besser vorbereiten?“
„Ja“, sage ich. „Zwar haben viele Menschen ein dickes Fell. Aber das hilft ihnen in diesem Fall nicht. Viel wichtiger ist eine effektive Dschungel-Ausbildung. Wie Sie vielleicht wissen gibt es diverse Kurse und Seminare zu diesem Thema. Eine Weile schien die Taktik „Einweichen statt ausweichen“ Erfolg zu haben. Aber wie weicht man leere Worte auf?“
Dr. Pfeife nickt. Er hat verstanden.
„Sie haben den 100 Mbit Dan im Dschu-Dschutsu, Frau Dr. Landar“, fährt er fort. „Was genau unterscheidet ihre Kampfkunst von der, der anderen Meister?“
„Dschu-Dschutsu ist so alt, wie der Dschungel selbst“, erwidere ich. „Ich habe es lediglich an die Neuzeit angepasst.“
„Wie dürfen wir uns das vorstellen?“, will Dr. Pfeife wissen.
Er macht einige ungeschickte Bewegungen, die er vermutlich aus Jackie Chan Filmen hat.
Ich schenke Dr. Pfeife ein mildes Lächeln.
„Mit Kraft kommen Sie im Dschungel kaum weiter“, sage ich. „DSL-Lianen zu zerschlagen wird kaum helfen. Aber geschickt nutzen muss man sie.“
Ich demonstriere einen solchen Schwinger und Dr. Pfeife fällt überrascht um.
Standfest ist anders.
„Äh ja, sehr beeindruckend“, stottert er. „Und kann das jeder lernen?“
„Aber natürlich“, entgegne ich milde. „Jeder, der sich sich selbst achtet, ist in der Lage dazu. Bei der von mir entwickelten Methode des Dschu-Dschutsu nutzt man die Kraft des Gegners aus. Eine Haupttechnik ist die sogenannte „Facebook-Rolle.“ Mit ihr weicht man jeder noch so leeren Wortblase aus. Dann gibt es noch den von mir entwickelten „Niveau-Sprung.“ Der ist aber nur als allerletzter Ausweg anzuwenden, wenn man kurz vor dem Fall nach unten steht.“
Dr. Pfeife wirkt nachdenklich.
„Sie schlagen also nie zurück?“, fragt er weiter.
„Der beste Kampf ist immer der, den man vermeidet“, erwidere ich.
Und nicht zu kämpfen findet jeder gut.
„Ist das wirklich schon alles?“, will Dr. Pfeife wissen. „Gibt es keinen anderen Trick? Was machen Sie, wenn der Angreifer bewaffnet ist?“
„Aber natürlich“, sage ich. „Sie meinen bestimmt die obligatorischen Ausrufezeichen. Aber die sind kein wirkliches Problem. Ausrufezeichen sorgen für eine Erschütterung im „Wort-Sinn-Gefüge.“ Und das lockt immer andere Raubtiere herbei. Der Trick ist nun der, dass sie sich gegenseitig bekämpfen und wir diesem Kampf nur ausweichen müssen.“
Dr. Pfeife ist begeistert. Spontan fordert er das Publikum im Studio auf, die Facebook-Rolle zu üben.
Ausgelassen folgt die Menge und ein mittleres Chaos bricht aus.
Können Worte rollig machen?
Wieder zu Atem gekommen strahlt mich Dr. Pfeife an.
„Das war lustig,“ verkündet er. „Aber es gibt doch bestimmt noch mehr?“
„Aber ja“, erwidere ich. „Ohne „Forenhebel“ und „Blogschlag“ taugte das beste Dschu-Dschutsu nichts. Mit dem Blogschlag wehren sie gezielte Angriffe ab. Sie blocken sie sozusagen. Und dann setzt man den Forenhebel so lange an, bis nichts mehr geht. Auch kein Internet mehr.“
Dr. Pfeife ist begeistert und blendet die Adresse meiner Kampfkunst Schule ein. Auch verweist er auf mein Buch „Dritte Zähne für Papiertiger“, das schon vor Jahren ein Bestseller war.
„Ich bedanke mich, dass sie gekommen sind, Frau Dr. Landar“, sagt er mir. „Haben Sie vielleicht noch ein abschließendes Wort für unsere Zuschauer?“
„Ja“, erwidere ich und schaue in die gläubigen Gesichter. „Den Sommer zu genießen halte ich für wichtig. Lassen Sie den Computer aus. Das schützt vor Tigern und vor Schlangen.“
Und mich vor weiteren Fragen im Dschungel-Camp.