Kuro-obi – Black Belt

Auf besonderen Wunsch einer Leserin, aber eigentlich weil ich es so möchte, wird es nun doch diesen Beitrag über meine (unsere!) Dan-Prüfung(en) geben. Er bildet die Ankunft in Japan und die jüngere Vergangenheit ab. Viel Spaß beim lesen.

Japan, Fukuoka, Heimat. Nie zuvor, habe ich das derart intensiv empfunden. Bin ich keine Deutsche mehr? Deutschland hat mich tief geprägt. Dafür werde ich auf ewig dankbar sein. Aber ich bin und bleibe Japanerin. Und so ist es gut.

Die Tante, der Onkel und meine Eltern erwarten uns in Fukuoka. Die Begrüßung ist für japanische Verhältnisse herzlich. „Hallo mein kleines Mädchen“, höre ich meine Mutter sagen. Hat sie etwa Tränen im Gesicht? Mein Papa schmunzelt, als ich „Hast du mich vermisst, Väterchen?“, frage.

Yuki freut sich ebenfalls. Familie ist nun mal wichtig, das habe ich schon immer gesagt. Und Yuki gehört ganz selbstverständlich dazu. Meine Cousine wird sofort von allen bemuttert. Die verlorene Tochter ist heimgekehrt. Wird die Therapie halten? Alle hoffen es.

Die Mädchen sind müde aber glücklich, so viele bekannte Menschen zu sehen. Ken wirkt traurig. Sein Freund hat sich feige per SMS getrennt. Manche Menschen sind einfach nur Idioten. Aber Ken schüttelt den Kopf, als ich meine Hilfe anbiete.

Glück und Tränen

Yuki vermisst ihre Eltern. Das war schon in Santa Barbara so. Was sie nicht weiß, die beiden sind längst in Japan angekommen. Kurz darauf fließen bei Elfchen die Tränen vor Glück und ihre Mutter weint gleich mit. Was die nur immer haben! Ich bin natürlich völlig cool.

Es fühlt sich ungewohnt und doch richtig an, um diese Jahreszeit in Japan zu sein. Ich mache einige schlechte Bilder der vorweihnachtlichen Hakata Station. Die spinnen meine Japaner! Aber so sind wir, traditionsbewusst und doch Neuerungen aufgeschlossen. Und auch Santa Claus habe wir natürlich adoptiert.

Es gibt viel zu erzählen, die Zeit vergeht wie im Flug. Nach einer kleinen Ewigkeit landen wir todmüde im Bett. Ich träume klar und laufe über verschneite Wiesen. Neben mir freut sich die Inari. Auch sie werde ich besuchen. „Du bist zu Hause, Mayumi“, sagt sie leise. „Ich freue mich auf dich.“

Dojo

Die Tage vergehen, im Dojo assistiere ich meinem Vater, der plötzlich die höheren Kata von mir sehen will. Was hat er nun schon wieder vor? Ich tue ihm den Gefallen und laufe sie perfekt. Nur die amtierende Weltmeisterin kann das noch besser.

Aber die, um einen Vergleich mit Autorennen zu ziehen, fährt in der Formel 1. Ich nur in der Oberliga. Die SchülerInnen schauen fast ehrfürchtig zu. „Das ist doch keine Meisterschaft!“, liegt mir auf der Zunge, aber ich verkneife mir den Satz. Manchmal kann auch ich ein Engel sein.

Es macht Spaß in Japan zu trainieren. Alles ist vertraut und doch ganz anders. Disziplin wird hier bewusst gelebt. Im Ausland wird Karate oft mit Kickboxen gleichgesetzt. Ein Fehler, der fatale Folgen haben kann.

Traditionelles Karate kennt keinen Erstangriff, aber die Verteidigung ist effektiv. Der aus dem Karate entstandene Sport lässt den spirituellen Hintergrund vermissen. Salopp ausgedrückt prügelt man sich dort nur.

Der Test

Bekanntlich ist mir ein Teil der Wartezeit zum 4. Dan erlassen worden. Alles ist möglich, wenn man das von offizieller Seite will. Yuki wird für den 1. Dan geprüft. Sie ist ein wenig aufgeregt, aber guter Dinge. Und dann ist es endlich soweit.

Ich verzichte auf die Einzelheiten der Prüfung, die wären nur für wirkliche Kenner interessant. Yuki besteht mit Bravour. Ich habe die Ehre ihr den Schwarzen Gürtel umzubinden. Sie war schon immer (m)eine Meisterin. Nur auf den Kuss muss ich verzichten. Manche Regeln gelten auch für mich.

Dann bin ich an der Reihe. Unter kritischen Blicke zeige ich mein Können, beantworte Fragen und erkämpfe mir den Weg im Kumite. Wie immer muss ich mich zügeln und darf keine fremden Techniken nutzen. Normalerweise mache ich das instinktiv.

Hochkonzentriert beende ich den letzten Prüfungsteil. Plötzlich gibt es eine unerwartete Pause. Ist irgendwas passiert? Man bittet mich um einen Augenblick Geduld, die Prüfer beraten sich.

Kein Zweifel

Ich habe keinen Zweifel, dass ich bestanden habe. Aber etwas geht hier vor, das ich nicht auf der Rechnung habe. Ein älterer Sensei mit freundlichen Augen winkt mich herbei. Neben ihm sitzt mein Vater und der Rest der Kommission.

Japaner haben die Fähigkeit völlig ausdruckslos zu blicken. Das kann ich besser und schaue ungerührt zurück. Bei meinem Vater hat das noch immer in einem Schmunzeln resultiert. Man(n) teilt mir mit, dass ich die Prüfung bestanden habe. Plötzlich kommt ein „Aber …“

„Ihre Leistungen sind außerordentlich“, beginnt der alte Mann. „Wir haben das sehr ausführlich geprüft und auch wenn Sie normalerweise aufgrund ihres noch jungen Alters und der soeben erst bestandenen Prüfung zum 4. Dan, die Voraussetzungen für den 5. Dan nicht erfüllen, wird es, auf Antrag ihres Lehrers, eine Ausnahme geben. Sind Sie bereit?“

Yukis fassungsloses Gesicht werde ich nie vergessen. Für einen Moment spüre ich einen kleinen Stich im Bauch. Dann blicke ich in die Augen meines Vaters. „Du verdienst es!“, lese ich dort und er nickt mir aufmunternd zu. Einige Stunden später erhebt er mich in die Meisterklasse.

Meisterlich

Dan-Grade zu überspringen ist eine absolute Ausnahme und war lange verpönt. In meinem Fall und das erklärt man mir auch, ist es die lange Trainingszeit, meine überzeugende Darstellung der Techniken und mein Wissen, die diesen Schritt erst möglich machen.

Vermutlich liegt es auch daran, dass man Nachwuchs braucht und daher fördert. Und so ein wenig ist es Respekt vor meinem Vater, der immerhin einer Berufung folgte und die Jugendauswahl für Olympia trainiert.

Auch zahlt sich aus, dass ich bei meinen zahlreichen Seminaren immer „Gōjū-Ryū Karate“ unterrichtet habe. Zumindest auf dem Papier. Jetzt verstehe ich endlich, warum Schlitzohr Papa Kopien davon wollte. Diese Seminare werden als außerordentliche Leistung gewertet.

Ich brauche keinen Dan, als Aushängeschild, aber diese Ehrung erfüllt mich mit Stolz. Wer nun glaubt man habe mir diesen Gürtel geschenkt, der hat keine Ahnung von Karate! Die Prüfung war ultrahart, jeder Schritt, jede Antwort musste stimmen.

Eigentlich, das sagt man mir auch, hätte es keiner Prüfung bedurft. Wieder war es mein Vater, der genau darauf bestand. „Um Vorteilnahme auszuschließen“, erklärt er mir später. Das finde ich gut, er hätte mir den Gürtel auch schenken können, Dan Grade können in Ausnahmefällen ohne technische Prüfung vergeben werden.

„Und was erwartest du dafür?“, will ich von meinen Vater wissen, als wir wieder zu Hause sind. „Dass du eine gehorsame Tochter bist“, kommt seine Antwort wie aus der Pistole geschossen. Er flüchtet, als er meine Blicke sieht und meine Mutter lacht. Das ist japanischer Humor, wie ich ihn gern mag.

Der 5. Dan bedeutet für mich, dass ich nicht länger Schülerin bin. Ab dieser Stufe zähle ich zur Meisterklasse, wo mein Vater schon lange zu Hause ist. Er ist mächtig stolz, das kann er kaum verbergen. Auch auf Yuki, die er wie eine zweite Tochter liebt.

Japan, Fukuoka, Heimat. Nie zuvor, habe ich das derart intensiv empfunden. Ich bin zu Hause angekommen. Frohe Weihnachten euch allen. Wir lesen uns, das ist doch klar.

Wing Chun – Der ewige Frühling

Viele Mythen und Legenden ranken sich um die fernöstlichen Kampfkünste. Von unbesiegbaren HeldInnen und wundersamen Techniken ist die Rede, die jeden Gegner lässig niederstrecken.

Das ist so dumm wie falsch und schon allein das Wort Gegner ist dabei der falsche Begriff. Ursprünglich hat man Wushu / Kung Fu zur körperlichen und geistigen Fitness erschaffen. Erst viel später haben die Shaolin Mönche daraus die Kunst der Selbstverteidigung gemacht.

Die kämpfende Kunst

Vor einigen Monaten hatte ich am Beispiel Karate über den Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport geschrieben und warum die reine Kampfkunst in einem Wettkampf unbrauchbar ist.

Wer diese Artikel noch nicht kennt, der darf gern HIER und HIER klicken.

Bei meinem Aufenthalt in den USA, habe ich mehrfach mit Sifu Feng über dieses Thema gesprochen. Auch sein Wettkampf Tai Chi ist nur die abgewandelte Form jener Kunst, die in Konkurrenz zu den aus dem Shaolin „Kung Fu“ entwickelten Stilen steht.

Für Feng überraschend, dass ich als Karateka, die „Klebenden Hände“ beherrsche. Einerseits gibt es die auch im Goju Ryu Karate und andererseits im Wing Chun. Und auch das habe ich gelernt.

Wing Chun, das man mit „Ewiger Frühling“ übersetzen kann, ist ein vermutlich im frühen neunzehnten Jahrhundert entstandener südchinesischer Kung Fu Stil, der seit den 1970er Jahren auch Furore im Westen macht. Leider haben Geschäftemacher viel kaputt gemacht, aber das soll heute kein Thema sein.

Kurz vor meiner Abreise hatte Feng Besuch von einem befreundeten Sifu, der als Kind und Jugendlicher zehn Jahre lang Wing Chun trainierte und vor fast zwanzig Jahren zum Tai Chi gewechselt ist. Gemeinsam haben wir die beiden Systeme analysiert und die Unterschiede herausgestellt. Und das war auch für mich hochinteressant.

The men of Tai Chi

Sifu Dan ist Amerikaner und knapp vierzig Jahre jung. Sein Stiefvater habe bei Hawkins Cheung in Los Angeles trainiert und ihn zum Training mitgenommen, erzählt er uns. „Als Kind hat mir Wing Chun geholfen“, sagt er. „Ich war ein schmächtiges Kerlchen und immer Opfer der älteren Schüler. Als ich mich erstmals wehrte, haben sie mich in Ruhe gelassen.“

Fast automatisch erscheinen die Bilder in meinem Kopf, die mich als siebenjähriges Mädchen auf dem Pausenhof der Schule zeigen und als „Opfer“ eines üblen Streichs. Ein Mitschüler hatte mich ohne Vorwarnung zu Boden gestoßen, beleidigt und dabei noch gelacht. Mein Karate hat ihm dann Manieren beigebracht.

„That’s life in the USA“, stichelt Feng und lacht. Die Männer nicken wissend, als ich meine Geschichte erzähle. „Ich glaube das haben wir alle durchgemacht“, sagt Dan. „Aber im Gegensatz zu anderen sind wir wieder auf die Füße gekommen.“

„Warum und wann hast du mit Wing Chun aufgehört?“, will ich wissen. Seine Antwort ist überraschend. „Nicht aufgehört“, lässt er mich wissen, „in meiner Schule wird auch Wing Chun unterrichtet. Nur unser Schwerpunkt ist Tai Chi.

Ich bin als junger Bursche zu den Marines. Wing Chun hat mir zu Beginn meiner Ausbildung geholfen, aber als wir Bodenkampf und Boxen übten, stand ich auf verlorenem Posten.“

Ich ahne warum, aber will es genauer von ihm wissen. „Woran genau lag es deiner Meinung nach?“ „Wir haben bei Hawkins zu wenig Sparring gemacht und nie mit fremden Stilen geübt. Alles war sehr theoretisch. Und ich kann schlecht einem Trainingspartner die Knochen brechen.“

Gegen jede Regel

Dan spricht ein Problem an, das viele Kampfkünstler haben, wenn sie in einem Ring nach Regeln kämpfen sollen. Schläge zum Kehlkopf oder Tritte in den Unterleib gehören zur Selbstverteidigung, im Sport sind sie aus gutem Grund verboten.

Auf der anderen Seite gibt es aber diese Arroganz scheinbarer Überlegenheit im Lager der Wing Chun Verfechter. Und das ist, bei aller Sympathie für diesen Stil, eine glatte Lüge. Dan sieht das ebenso. „Hawkins Cheng ist ein netter Kerl. Aber er hat auch den 3. Dan im Karate.

Viele, die sich jetzt Sifu nennen und wirklich gute Wing Chunler sind, haben noch einen zweiten oder dritten Hintergrund. Sie mixen diverse Stile und erst das macht sie gut. Oder sie schummeln, wie Sifu Moore.“

Dan zeigt uns ein Video, das ich ebenfalls kenne. Ein beleibter Mann, wird von einem schmächtigen Karateka „angegriffen“ (Sparring) und schiebt diesen dann quasi vor sich her. Das hat wenig mit Wing Chun, aber viel mit physikalischen Gesetzen zu tun. Der Mann ist einfach schwerer. Punkt.

„Ein großer Nachteil diverser Stile, ist der Fokus auf Hände und / oder Füße“, sagt Dan. „Wir können Tritte und Schläge, aber am Boden verlieren wir.“ „Das klingt wie Werbung für Brasilian Jiu-Jitsu (BJJ)“, stichele ich. „the most effective Martial Arts on the Planet.“

And the winner is …!

Herzliches Lachen folgt meinen Worten, die beiden verstehen den Gag. „BJJ ist in erster Linie Sport“, sagt Dan und auf der Straße völlig unbrauchbar. Das gilt für alle ringenden Sportarten. Kein Mensch wälzt sich auf dem Asphalt.

Die scheinbare Überlegenheit von BJJ basiert auf dem Überraschungseffekt, den auch Wing Chun kennt und auf deren Regeln. Bei Vergleichskämpfen mit BJJ scheuen sich andere Sportler sehr oft, die wirklich effektiven Kicks oder Schläge zu landen.“

„Oder sie dürfen nicht“, füge ich hinzu. „Bei Judoka oder Ringern sieht das ganz anders aus. Kein BJJ-Sportler steht lange gegen einen guten Freistil Ringer. Man kann solche Sportarten ganz schlecht vergleichen.“

„Ich sehe Wing Chun als eine Sonderform unter den Kampfkünsten“, sagt Dan und nickt zustimmend. „Es ist reine Selbstverteidigung und eine Art Straßenkampf. Relativ einfach aufgebaut gibt es dort keine Geheimnisse. Die werden nur von diesen selbsternannten Großmeistern Leung Ting und Keith Kernspecht propagiert. Jeder kann Wing Chun erlernen. Dafür braucht es keine Ewigkeit.“

„Mit erlernen meinst du die Formen oder die Techniken inklusive Schmetterlingsmesser und Langstock?“, frage ich. „Wenn du Wing Chun als reine Kunst siehst und wirklich jede Handbewegung akribisch und auf den Millimeter genau lernen möchtest, wirst du vermutlich ewig brauchen“, erwidert Dan. „Und du wirst im Ernstfall die Prügel deines Lebens beziehen. Die meisten Wing Chunler können nicht kämpfen.“

Dans Worte sprechen das Problem an, das ich am Beispiel Aikido verdeutlichen will. Aikido ist als Wettkampfsport völlig ungeeignet und nur die kultivierte Form des Aikijujutsu. Bei Wing Chun ist das ähnlich. Nur gibt es dort keine offizielle sportliche Form. Eventuelle Wettkämpfer sind einfach nur Kickboxer.

Die Analyse

Dan holt einen Schnellhefter aus der Tasche und zeigt uns auf mehr als fünfzig Seiten seine Analyse von Wing Chun und Tai Chi. Grob gesagt ist sein Fazit, dass Tai Chi das wesentlich komplettere System ist, schwieriger zu lernen, aber im Endeffekt effektiver.

„Wing Chun ist nicht komplett“, erklärt Dan. „Man hat dort Elemente aus dem Tai Chi und vermutlich dem Shaolin Kung Fu sozusagen extrahiert und um ein imaginäres Dreieck herum modifiziert. Ich spreche von den kurzen, schnellen Bewegungen, die immer die eigene Mitte schützen und gleichzeitig zum Zentrum des Gegners gehen.

Der Erfolg, den einige wirklich gute Wing Chunler mit dieser Methode haben, basiert lediglich auf dem Überraschungseffekt. Aber mit einem Kettenfauststoß gewinnt man keinen ernsthaften Kampf. Mit einem Tritt in den Unterleib schon.“

„Das ist mein Spruch!“, protestiere ich lachend. „Ich glaube ich weiß, was du meinst. Auch Karate kommt ursprünglich aus China und ist vermutlich aus dem Weißen Kranich Stil entstanden. Aber Japaner sind Puristen und haben überflüssige Bewegungen eliminiert, was sehr gut im Shotokan Karate zu sehen ist. Mein Stil, das Goju Ryu, ist noch näher am Original.“

„Tai Chi basiert auf einem Kreis“, fährt Dan fort und Feng stimmt zu. „Greift ein Gegner an, wird der Wing Chunler der Kraft ausweichen oder um sie herum arbeiten und gleichzeitig attackieren. Tai Chi wird die Kraft, den Schlag oder Tritt quasi aufnehmen und absorbieren, um erst dann zu attackieren.

Dreieck und Kreis

Die Bewegungen beim Tai Chi sind kreisförmig, um es einfach auszudrücken. Beim Wing Chun dagegen eckiger (Dreieck Prinzip). Ein weiterer Unterschied liegt im sogenannten Trapping, dem immobilisieren der Arme oder Beine.

Das funktioniert im Training für Wing Chunler wunderbar. Im realen Leben habe ich so meine Zweifel. Steht mir ein muskulöser Kraftmensch gegenüber, so geht das in den meisten Fällen gewaltig schief.

Tai Chi macht das besser, indem man einen Gegner aus der Balance bringt. Greift jemand nach mir, gebe ich nach und leiste keinen Widerstand. Bis zu diesem Punkt kann man sich darüber streiten, ob beide Systeme nicht teilweise das Gleiche machen, wenn auch mit anderen Methoden.

Der größte Unterschied liegt aber meiner Meinung nach in der Sensitivität. Wing Chuns klebende Hände sollen hier das Maß aller Dinge sein, was nur zum Teil richtig ist. Nicht nur Wing Chun kennt diese Form, wie Mayumi schon angesprochen hat, gibt es die auch im Okinawa Karate und anderen Kung Fu Stilen.

Mit dem Unterschied, dass im Wing Chun leider wirklich nur die Arme sensibilisiert werden, im Tai Chi aber der ganze Körper. Wing Chun gilt als reiner „Close Range Combat.“ Und das macht das System recht gut. Bis man, rein theoretisch, auf den Weltmeister im Kyokushin-Karate trifft.“

Kick it

Wir müssen alle lachen. Dan spricht von den blitzartig aus nächster Nähe nach oben gezogenen oder gesprungenen (Dreh)Kicks zum Kopf, mit denen ich Feng im Sparring überraschte. „Wing Chun übt Druck nach vorn (auf den Angreifer) aus“, fährt Dan fort, „aber es geht immer nur um die Mitte, das Zentrum.

Tai Chi ist ein 360 Grad System, das sich wie ein junger Baum verhält. Zieht man daran oder drückt und lässt dann los, geht der Baum in seine ursprüngliche Position zurück. Tai Chi attackiert den ganzen Körper und ist das wesentlich komplettere System. Falls man es bis zum hohen Level schafft.“

„Der Blick über den Tellerrand ist wichtig“, ergänze ich. „Unbedingt!“, stimmt mir Dan zu. „Es geht mir nicht darum einen Stil zu verteufeln und die Überlegenheit eines anderen anzusprechen, aber viele meiner Schüler haben vorher etwas anderes gemacht und sind nun wesentlich zufriedener mit ihren Erfolgen.“

„Könnte man Wing Chun als Einstieg in die Welt der Kampfkunst sehen?“, will ich wissen und Dan nickt. „Das hast du gut formuliert“, erwidert er, „aber ich sehe das komplexer.

Wie ich schon sagte ist Wing Chun ein einfaches System, das vor allem für körperlich schwächere Menschen interessant ist. Vor allem für Frauen.“ Er grinst, als er meinen Mittelfinger sieht. Humor, den auch Dan versteht.

Hinterm Horizont geht’s weiter

„Du wirst dort viele treffen, die kaum Fitness haben oder einfach unbeweglich sind“, fährt er fort. „Für die wäre Karate Mord. Auch für Kinder ist Wing Chun eine tolle Sache. Aber wer Wunder erwartet, wird bitter enttäuscht.

Wer dazu in der Lage ist und echte Fortschritte machen möchte, dem rate ich sich auch anderweitig umzusehen. Ohne den direkten Vergleich, wird man immer limitiert bleiben. Und die angeblich so guten Wing Chunler aus Hongkong machen in Wirklichkeit nur Sanda (Chinesiches Kickboxen).“

Auch Feng stimmt zu. „Ja“, sagt er, „das habe ich mittlerweile auch erkannt. Ich musste auch Kickboxen lernen, um bei Meisterschaften erfolgreich zu sein. Trotzdem hat mir mein Tai Chi Hintergrund dabei geholfen. Und schon Bruce Lee hat die Stile gemischt.“

Unvermischt und pur bleibe nur ich meinen LeserInnen erhalten. Auch wenn ich Deutschland nächste Woche wieder in Richtung USA verlassen werde.

Der Mann, der kein Karate konnte

Lügner und Betrüger hat es schon immer auf der Welt gegeben. Wenn Menschen einen Vorteil wittern, schlagen sie hemmungslos zu. Sinnbildlich versteht sich. Einige auch mit brutaler Gewalt. Aber um Gewalt geht es in diesem Artikel nicht. Auch, wenn sie Teil unseres Lebens ist.

Im Karate gibt es Gürtel, die den Leistungsstand repräsentieren. Schwarz trägt nur der Meister, der bis zum 5. Dan selbst Schüler ist. Schwarz trägt auch ein neuer Schüler, der seit 10 Jahren Meister ist. Sagt er und legt eine Urkunde aus Malaysia vor, die niemand entziffern kann. Gleichzeitig aber auch ein Attest vom Arzt. Bandscheibe kaputt, das tut weh!

Angeblich ist der Mann in Hongkong geboren. Aber Kantonesisch spricht er nicht. Er ist Brite mit deutschem Pass und deutscher Mutter. „James heiße ich“, sagt er locker, „aber ihr könnt mich gern Jimmy nennen. So wie mein großes Vorbild, Jimmy Wang Yu.“

Die wenigsten meiner LeserInnen dürften diesen Namen kennen. Aber Wang Yu, war wirklich einst „Der Mann aus Hongkong.“ Er war auch „Der einarmige Schwerkämpfer“ und hat eine Menge Martial Arts-Filme gedreht. Alle auf seine eigene Art. Ich habe niemals einen schlechteren Martial Artist gesehen. Der Mann konnte nichts, das aber richtig gut.

Wang Yu’s Stärke war sein Charisma. Aber wer ihn ungelenk durch alte Filme hopsen sieht, wird meist laut lachen. Wang Yu konnte weder Karate, noch irgend eine Form des Kung Fu. Nur sein Schwertkampf war passabel. Offenbar hat er darin einst Unterricht gehabt. Der Rest war Straßenkampf und einstudierte Schläge.

Der Sensei akzeptiert Jimmy, aber der steht meist im Hintergrund. So gut wie nie nimmt er richtig am Unterricht teil, spart aber nicht mit klugen Sprüchen. Ich bin damals 19 Jahre alt. Es war meine wilde Zeit. Und doch war ich bereits gut darin Betrüger zu entlarven. Wie Jimmy, der nur ein Schauspieler ist.

Meine Chance kommt nach einigen Wochen, als ich den Sensei wegen Verspätung vertreten darf. Wie immer sitzt Jimmy im hintersten Winkel und feuert die anderen Schüler an. Als ich ihn bitte mir zu assistieren, wird er unruhig und will plötzlich gehen. „Ich habe noch einen Termin“, murmelt er. Was nach 20 Uhr am Abend kaum vorstellbar ist.

„Ich brauche doch nur 5 Minuten“, sage ich lächelnd. „Du würdest mir mit deiner großen Erfahrung sehr helfen.“ Jimmy wird bleich, Schweiß tritt auf seine Stirn. Ich habe ihn und er weiß das ganz genau. „Wenn du uns die Sesan-Kata zeigen könntest, ich werde dann dazu etwas erklären.“

„Ja, aber meine Bandscheibe“, protestiert Jimmy schwach. „Ich weiß nicht, ob mein armes Kreuz hält.“ Ungerührt blicke ich den erbärmlichen Lügner an. Dann trete ich blitzschnell zu. Jimmy macht keinen Versuch auszuweichen, er hat den Kick nicht kommen sehen. Keinem Meister wäre das passiert. Das wars mein Junge, du bist blamiert.

Jimmy sitzt verdattert auf dem Hosenboden und meine Schüler sind fassungslos. Unruhe macht sicht breit. Wütende Rufe, der Zorn regiert. „Zieh diesen Gürtel sofort aus“, sage ich bestimmt. „Du bist nur ein Lügenmeister.“ Unser Sensei rettet die Situation und erspart dem Entlarvten weitere Schmerzen. Körperlich. Sein kleines Ego leidet schwer.

Mit knappen Worten informiere ich den Sensei und er nickt. „Meine Schuld“, sagt er zerknirscht. „Ich habe so etwas schon geahnt und wollte es nur nicht sehen. Aber du leitest heute das Training. Entscheide du.“ Ich nicke und gehe drohend auf Jimmy zu. „Warum“, will ich wissen, „was soll dieses Theater?“

Jimmy geht auf die Knie und verbeugt sich immer wieder. Er stottert, versucht sich zu erklären. Unwirsch nehme ich den Gürtel aus seiner Hand. „Ich … ich habe Karate immer geliebt“, flüstert der Lügner. „Ich wollte doch nur so so sein wie Wang Yu!“ „Ein Mann, der kein Karate konnte“, erwidere ich kalt. „Bravo, das hast du geschafft.“

Abenteuer Japan – Teil 6: Okinawa-Te

Japan ist ein Land voller Mythen und Legenden. Durch Jahrhunderte der Abschottung, hat sich eine einzigartige Kultur entwickelt. Der Rest der Welt steht Japan gespalten gegenüber. Anime und Manga lieben alle. Auch, das aus Japan stammende Karate. An dieser Stelle dann ein harter Schnitt, denn die Wurzeln des Karate liegen anderswo.

Wir sind zuück aus Shanghai. Wieder ist Fukuoka nur Zwischenstation. Die Reise geht weiter nach Okinawa. Dem Ort, an dem man wirklich Karate erfunden hat. Der Legende nach haben Shaolin-Mönche Kung Fu nach Okinawa gebracht. Dort soll sich ihre Kunst mit einheimischen Praktiken vermischt haben und die Urform des Karate war geboren, das „Te.“

In vielen (amerikanischen) Filmen, wird Karate brutal und als Angriff an die Zuschauer gebracht. Hollywood lässt grüßen. Mit dem wahren Geist, hat das wenig zu tun. Und der weht noch immer in Okinawa. Zwei Stunden dauert der Flug von Fukuoka. Mit dem Mietwagen geht es weiter ins Hotel. Davor lagen Mails und Telefonate, die unseren Besuch erst möglich machten.

Aber was unterscheidet Karate in Okinawa vom Rest der Welt? Ist es wirklich so viel anders? Mein Vater ist Meister im Gōjū-Ryū-Karate, dem harten und weichen Stil. Dessen Ursprünge liegen klar im „Weißen Kranich Kung Fu.“ Wir kennen die klebenden Hände, die auch im Wing Chun zun Alltag gehören. Und wir nutzen, Hebel, Würfe und Bodenkampf, wie im Aikijujutsu.

Der elementare Unterschied von Okinawa-Te (Okinawa-Karate) zu anderen Stilen sind die durchgehend defensiven Techniken. Das klingt zwar gut, stellt aber so manchen Schüler vor Probleme. Weniger wegen der Schierigkeit, aber diese Art des Karate ist für Männer gemacht.

Es wäre wenig klug für eine Frau, den harten Okinawa-Stil zu lernen. Die Philosophie von Block und Konter, ist nicht meine Welt. Ich kann als Frau keinen Schlag eines Muskel-Hünen (hart!) blocken und auf Unversehrtheit meiner Unterarme hoffen. Aber ich kann seine Kraft gegen ihn nutzen. Weich und effektiv.

Ein Dojo in Okinawa ist das „Heim“ des Meisters. Er ist hier Vater, Lehrer und ihm gebührt Respekt. Als wir das Dojo betreten und mit Herrn Tetsuhiro (Name geändert) sprechen, überreiche ich einen kleinen Obulus im Briefumschlag, den er natürlich erst viel später öffnet. Es geht um Respekt, der Meister will kein Geld.

Ich kenne mich und meinen rebellischen Geist. Daher habe ich bewusst nach einem Sensei gesucht, der die alte Okinawa-Schule lehrt. Davon, Schienbeine, Unterarme, Genitalien abzuhärten, hält der Sensei wenig. Noch weniger von Bruchtests. Wie mein Vater ist er der Meinung, ein Brett schlage nicht zurück. Was ich unterschreibe.

Wer nun glaubt ich könne keine Ziegel, oder Bretter zerschlagen, der irrt. Aber muss ich es auch machen? Herr Tetsuhiro lehrt einen Stil, der vor einigen hundert Jahren Standard war. Wozu hohe Tritte, fragt er in die Runde. Der Stand werde davon instabil. Angesprochen sind dabei westliche Gäste, die aus dem Kickboxen und Sport-Karate kommen.

Die Hälfte seiner Schüler sind Europäer und Amerikaner. Und alle sind auf der Suche, wie ein lustiger Mexikaner später berichtet. Der Mann ist weit über 60 und seit 40 Jahren in Karate aktiv. Aber in Okinawa war er noch nie. Er habe hier mehr über sich und den Sport gelernt, sagt er, als in all den vergangenen Jahren.

Yuki ist skeptisch. Sie hat Videos vom Okinawa-Karate gesehen und wie hart Mann dort trainiert. Ich kann sie beruhigen. In diesem Dojo zumindest wird nicht geprügelt. Herr Tetsuhiro hat nur eine Frau als Schülerin. Und das ist seine eigene Tochter Hiromi. Sie soll und wird das Dojo später leiten. Und sie ist wirklich gut!

Mit Interesse schaut der Sensei auf meinen 3. Dan. Er will eine Kata von uns sehen und nickt am Ende. Wir sind willkommen. Let the Games begin! Wir trainieren überwiegend mit Hiromi, die sich gern um uns kümmert. Aber sie hat Respekt vor mir, der immer größer wird.

Der Grund ist die rasende Geschwindigkeit, mit der ich die Techniken adaptiere. Vieles kenne ich. Bei einigen Sachen bin ich skeptisch. Gegen westliche Boxer werden die nicht funktionieren. Da ist mein Stil dann effektiver. Aber ich bin hier nur Gast.

Wir bleiben 5 Tage und haben Spaß. Kein Stress, kein böses Wort. Nur Gleichgesinnte, die alle freundlich sind. Am letzten Tag will der Sensei uns testen. Er bittet seinen Sempai (ältester Schüler) das Kumite zu übernehmen. Unter den kritischen Blicken des Sensei fangen wir an. Werden Frauenhände wieder siegen?

Ich kann diesen Kampf nicht gewinnen, wenn ich nach den Regeln meines Kontrahenten gehe. Der wartet ab und überlässt mir den ersten Schlag. Aber ich bin lange genug im Karate, um alle Tricks zu kennen. Auch, dass man ein Duell mental gewinnen kann. Also mache ich so lange nichts, bis der Sensei nickt. „Gut“, sagt er. „Du hast verstanden.“

Was er meinte war, dass Karate niemals als Angriff genutzt werden soll. Er erlaubt aber doch, dass ich meine Kunst zeige. Mit Yuki. Elfchen schnauft gespielt empört und flüstert „Immer ich.“ Aber sie spielt mit und darf mich auch zu Boden werfen. Und dabei hat sie Spaß.

Spaß hatte ich auch, als ich diese Artikel schrieb. Vielleicht sind sie anders ausgefallen, als manche LeserInnen erwartet hatten. Aber es ist schwierig Japans Kultur in reinen Worten zu vermitteln. Wer mehr erleben will, der sollte Land und Leute vor Ort kennenlenen. Japan, ist immer eine Reise wert.

Titel, Thesen, Temperamente

Immer wieder treffe ich auf Menschen, die sich „Experten“ nennen und ihre Kunst als Maß aller Dinge sehen. So wieder vor einigen Tagen geschehen. Ich darf kurz Handlung und Personen benennen, bevor es zum Showdown kommt. Der Ort ist das Aikido-Dojo. Die Beteiligten sind ein Jiu-Jitsu Sensei und ich.

Was nun hat das Eine mit dem Anderen zu tun, werden sich viele LeserInnen fragen. Alles! Unser Aikido-Sensei schaut oft und gern über den Tellerrand seiner Kunst. So hatten wir bereits mehrfach Judoka zu Gast und auch mit Ringern haben wir trainiert. Das bringt Vorteile für alle Beteiligten und macht einen Riesenspaß. Vor allem mir, wenn ich Männer werfen darf. Aber das habt ihr bestimmt gewusst.

Menschen schmücken sich gern mit Titeln, das ist nicht nur bei der Kampfkunst so. Menschen verneigen sich auch oft vor Titeln und nennen das Respekt. Aber was genau ist Respekt und hat ihn jeder „Meister“ auch verdient? Von mir kommt an dieser Stelle ein klares NEIN! Und das hat (s)einen Grund.

Mein Vater ist ein wahrer (Groß)Meister seiner Kunst und hat das über die Jahrzehnte bewiesen. Nicht immer auf die reine Physis bezogen, auch intellektuell ist er ein As. Er weiß viel mehr über Buddha, Zen und Karate, als meine Wenigkeit. Respekt verdient er nicht nur weil er mein Vater und Sensei ist. Es ist seine außergewöhnliche Persönlichkeit, die ihn zum (Groß)Meister macht.

Dem gegenüber stehen nun jene selbstgestrickten Experten, die Ahnungslosen ihr System verkaufen wollen. Ja, verkaufen! Denn bei Selbstverteidigungskursen geht es viel zu oft nur um sehr viel Geld. Ganz gezielt spreche ich dabei die tolle EWTO (Europäische Wing-Tsun-Organisation) mit ihrem adeligen „Großmeister“ an, die kein Wing Chun lehrt sondern Mist. Oder Leute, die ein „System without System“ lehren, das dann doch nur auf alten Hüten basiert.

„Ihr Budoromantiker habt doch alle keine Ahnung“, hat mir ein Selbstgestrickter offenbart. „Niemand lässt im Straßenkampf Bein, oder Arm stehen, so dass ihr eure Techniken zeigen könnt! Im Gegenteil greife ich hochaggressiv an und keine eurer Sachen funktioniert.“

Er durfte mir dann zeigen, was er meinte, ist aber prompt auf dem Hintern gelandet. Mehrfach. Dumm halt, wenn man(n) überheblich ist und seine Zeit im Solarium, oder der Disco verbringt. Echtes Training schaut anders aus. Aber das wissen die meisten Leute nicht und zahlen Pseudo-Experten viel Geld.

Zurück zum Dojo und zu Jochen, dem Experten. Er hat klassisches Jiu-Jitsu gelernt und zeigt Würfe, die ich alle kenne. Mein Aiki-jūjutsu ist mit dem Jiu-Jitsu verwandt.
Kurz zur Erklärung für Nicht-Kampfkünstler: Das heutige Aikido ging aus dem Aiki-jūjutsu hervor. Im normalen Aikido gibt es keine Angriffe, weder Schläge noch Kicks. Im Aiki-jūjutsu-Stil hebeln wir nicht nur aus, wir lassen auch Aktionen folgen. Ich beherrsche beide Arten und habe den 1. Dan. Aiki-jūjutsu ist (für mich) die perfekte Ergänzug zu Gōjū-Ryū Karate. Aber manche Titel sind nichts wert, wie die nächsten Minuten klar beweisen.

Und es kommt nun keine Prügelei. Auch ein Biest hat andere Methoden.
Jochen erzählt von seinem Werdegang, wie und wo er Jiu-Jitsu lernte. Turniere hat er gewonnen und Pokale. Und eine Menge Schüler in der Stadt. Die Aufzählung seiner Erfolge will nicht enden, peinlich berührt schaut mich unser Sensei an. Ist das die Bitte um Hilfe?
„Entschuldigung, wenn ich unterbreche“, sage ich ungewohnt höflich. „Aber darf ich eine Frage stellen?“
„Nur zu!“, ermuntert mich Jochen und stellt sich in Pose.
Und fast wird mir wieder schlecht.
„Welche Erfahrung hast du im Straßenkampf?“, will ich wissen. „Im Clinch Mann gegen Mann.“
Es folgt das Schweigen, das jeder Peinlichkeit voranschreiten wird.

„Ähm … also die Straße ist jetzt nicht so mein Revier“, erwidert Jochen mit gequältem Lächeln. „Das ist auch völlig irrelevant für den heutigen Kurs …“
„Da bin ich anderer Meinung“, unterbreche ich. „Die sportliche Seite von Jiu-Jitsu ist mir bekannt. Ich habe mir so ziemlich alle Kampfsportarten angeschaut und kenne auch die Schwächen. Auf der Straße gelten andere Gesetze. Da gibt es keine Regeln.“
Jochen beißt sich auf die Unterlippe, sichtbares Zeichen seiner Nervosität. Ich habe den wunden Punkt des Mannes getroffen. Er ist reiner Sportler, der vom Straßenkampf keine Ahnung hat. Und das macht ihn untauglich als Lehrer.
Nicht jeder hat mein Talent.

Ich lasse Jochen weiter reden, aber mein Widerwille wächst. Er verkauft sein Jiu-Jitsu als Maß aller Dinge und dass man damit so gut wie unschlagbar ist.
„Jiu-Jitsu ist jedem anderen System überlegen“, erklärt Jochen überzeugt. „Meine Hebel funktionieren besser. Andere rollen die Leute doch nur ab. Und 95 Prozeent aller Kämpfe enden auf dem Boden! Heute muss man also zwigend Jiu-Jitsu können!“
„Einspruch!“, sage ich und fühle mich fast als Advocatus Diaboli.
„Die angesprochenen 95 Prozent Bodenkampf sind lediglich eine Erfindung. Wenn überhaupt, so mögen sie für den sportlichen Wettkampf gelten. Du zeigst mir nun bitte den Straßenkämpfer, der dich auf hartem Asphalt zu Boden zieht. Das wäre Dummheit pur, er würde sich ebenfalls verletzen.“
Meine Wahrheit, deine Wahrheit.

Jochen schüttelt energisch den Kopf und bläst zum Marsch nach vorn. Er argumentiert und demonstriert. In meinen Augen ohne Sinn.
„Weißt du lieber Sensei“, sage ich, „woran es bei der Selbstverteidigung mangelt, sind für diesen Bereich ausgebildete Fachleute. Schau dir als Beispiel Krav Maga an. Das kommt der Realität sehr nahe. Zwar bin ich auch nicht mit allem dort einverstanden, aber die Mädels und Jungs haben was drauf! Jiu-Jitsu, wie wir es heute kennen, ist für den reinen sportlichen Wettkampf gemacht. Besonders deutlich wird das beim brasilianischen Stil. Die machen dort keine Kicks. Selbstverteidigung ist erst einmal Konfliktvermeidungsstrategien zu lernen. Wie verhalte ich mich wo. Vor allem geht es darum den Leuten zu zeigen, wie sie sich mit einfachsten Mitteln wehren können. Und da sind Leute von der Straße prädestiniert. Reine Wettkämpfer völlig fehl am Platz.“
Nach Punkten führe ich. Kommt nun der Konter?

Jochen bleibt vage und ist völlig auf die sportliche Seite von Jiu-Jitsu fixiert. Ich erkenne aber an, dass er etwas von seinem Fach versteht. Nur in realer Selbstverteidigung ist er eine reine Niete. Und das sage ich ihm ins Gesicht.
„Viele Techniken, die von sogenannten Experten gelehrt werden, sind unrealistisch. Ich gehe noch weiter und sage, dass es purer Selbstmord wäre, die auf der Straße anzuwenden. Als Frau deeskaliere ich, rufe um Hilfe und laufe wenn möglich weg. Nur im Notfall wehre ich mich gezielt. Dann durchaus härter. Vermutlich steht meine Unversehrtheit auf dem Spiel. Trainer ohne praktische Erfahrung nehme ich nicht ernst. Im Gegensatz dazu habe ich die und kannn mich auf der Straße wehren. Du gehst dort mit Sicherheit unter.“
Was ich beweisen kann. Aber Jochen kneift.

„Vielleicht magst du dir einen anderen Gesprächspartner suchen“, füge ich milde gestimmt hinzu. „Ich bin auf keinen Fall die Richtige für dich.“
Das ist und bleibt Yuki. Mit dem Titel Elfe und ihrem sanftem Temperament hat sie mindestens den 10. Dan. Und das ist keine These.

Ein schwarzer Tag in meinem Leben

Mein Leben ist so bunt, wie der Regenbogen Farben hat. Selbst graue Tage gehen spurlos an mir vorbei. In meinem Herzen ist kein Platz für Trauer, oder winterliche Melancholie. Und doch ist am vergangenen Wochenende etwas geschehen, was die Farbe aus meinem Leben genommen hat. Mein Geist ist in die Dunkelheit geglitten. Der Tag war Rabenschwarz.

Es ist Samstag 6:30 Uhr, als der Wecker in meine Ohren summt. Sofort bin ich hellwach und ziehe Elfchen frech die Decke weg. „Biest!“,  ruft sie sofort, das Kopfkissen verfehlt mich um Zentimeter.
Lachend fliehe ich vor ihr und bin als Erste in der Küche.
„Beil dich Schlafmütze!“, rufe ich und beginne mit meinem Werk.
Aber Elfen brauchen immer 5 Minuten länger, als ihr menschliches Pendant.
Der Spaß endet schnell, dieser Tag wird noch ereignisreich.
Yuki ist aufgeregt und ich die Ruhe selbst. Was soll schon groß geschehen?

Es folgt Frühstück und Zähneputzen. Die (Un)Sitte das vor dem Frühstück zu machen werde ich nie verstehen. Gepackt haben wir schon am Abend und geduscht natürlich auch. Auf die Idee ungewaschen ins Bett zu gehen kämen JapanerInnen nie.
Der Audi Q3 hat ausgedient, der Nissan Qashqai ist unser neuer Wagen. Wolf hat ihn kurzerhand für die Firma gekauft, als neues „Biestmobil“, wie er ihn nennt.
Immerhin hat der Audi uns treu gedient und fast störungsfrei durch die Monate begleitet. Aber ein Motorschaden war das Aus. Der Test war trotzdem positiv, die Daten bleiben wichtig.
Aber wir bekommen bald einen neuen Dauertester. Nur was es ist, das will uns Wolf noch nicht verraten. Ich starte den kleinen Diesel, Düsseldorf wir kommen!

Deutlich langsamer als sonst, aber dafür entspannt erreichen wir gegen Mittag mein Elternhaus. Von dort geht die Reise schon bald weiter. Mit meinem Vater im Gepäck.
Wir reden wenig, seine Miene ist grau an diesem Tag. Vielleicht sind es auch nur die Schatten des Winters. Mein Vater ist kein negativer Mann.
Ein flaches Gebäude harrt unserer Ankunft schon. Mit flinken Schritten eilen wir zur Tür. Neonlicht ersetzt das öde Grau.
Unsere Wege trennen sich kurz, Yuki und ich müssen einen anderen Weg gehen. In der Umkleide ziehen wir uns um. Die Haare werden zum Pferdeschwanz gebändigt.
Schweigend gehen wir einen langen Gang entlang.´Es folgt ein schwarzer Tag in meinem Leben, den ich so schnell nicht vergessen kann.
Mein Vater wartet schon. Auch er im Karate-Gi. Was habt ihr denn nun gedacht?

Streng wirkende Männer und eine Frau mustern mich kritisch. Mehr als zehn Jahre ohne jede Praxis ist ihnen suspekt.
Nun mag eine Mayumi vieles sein, aber dumm mit Sicherheit nicht. Und im Karate-Verband bin ich immer Mitglied geblieben.
Trainiert habe ich bekanntlich immer. Auch, wenn mein Fokus auf anderen Dingen lag. Aber Karate bleibt immer ein wichtiger Teil in meinem Leben. Karate liegt mir im Blut.
Schon vor der Karate-WM in Bremen, habe ich intensiv für den 3. Dan geübt. Wobei es nur Wiederholungen waren. Das Programm kann ich im Schlaf.
(M)Ein weiterer Weg zur Meisterschaft, wie mein Vater gern erklärt.

Es ist lange her, dass ich im Karate eine Prüfung machte. Entsprechend hoch ist die Skepsis der Trainer. Aber mein Vater ist auch dabei. Meister unter sich.
Nach dem 2. Dan bin ich eigene Wege gegangen und habe mich umorientiert. Gürtel waren mir plötzlich weniger wichtig. Und ganz ehrlich, im Kumite schlage ich auch einen höheren Dan. Ich habe Yuki auch Karate beigebracht. Sie kann das richtig gut. Ihr Rang ist viele Stufen unter Schwarz. Aber wer will meine Elfe schlagen? In der Liebe zu mir ist sie ohnehin unerreicht, da hält sie alle Gürtel dieser Welt. Entsprechend tapfer steht sie neben mir. Und ich liebe sie dafür.
Die Prüfung beginnt. Lasset die Spiele beginnen. Jetzt wird gekickt.

Viele Menschen haben ein falsches Bild vom Schwarzen Gürtel. Sie glauben, dass man nun ein(e) MeisterIn ist. Natürlich ist das richtig und auch wieder falsch. Großmeister sehen das etwas anders.
In Wahrheit bleibt man bis zum 5. Dan (Meister)SchülerIn. Erst dann folgt die wahre Meisterstufe. Aber schon lange vor dem 1. Dan, habe ich Karate als Weg für mich erkannt.
Dan ist das japanische Wort für Stufe / Rang. Und dort stehe ich Gürtelmäßig auf dem zweiten (Meister)Rang Zwei. Mein Dickkopf hat einst mehr verhindert. Aber das ist nun vorbei.
Elfchen darf auch zeigen was sie kann. Sie beginnt und ich bin wie immer fasziniert.
Yuki tanzt einen Reigen, der aus purer Eleganz geboren worden ist.
Zwar ist es „nur“ Grün, was sie als Farbe erhält. Aber ich weiß, was meine Elfe wirklich kann.
Wie im Aikido, wird sie auch im Karate ihre Frau stehen. Und im Leben steht sie gleichberechtigt neben mir.

Nun geht es los für mich. Hochkonzentriert trete ich nach vorn.
Sie testen mich so hart, wie ich erwartet hatte. So muss ich alle Kata aus dem Schülerbereich zeigen, was kein Problem bedeutet.
Auch Kihon Ido ist gefragt, sie wollen die Grundtechniken sehen. Die Zeit vergeht fast ohne Pause, der Körper ist nun Karate.
Mein Geist ist klar und fokussiert, nichts außer diesem Tag ist wichtig.
Ich muss zwei Kämpfe bestreiten. Zeit mich zu amüsieren.
Ein Mädel mit dem 1. Dan liegt nach 10 Sekunden auf der Matte. Sie hat keine Chance gegen mich. Und sie fällt immer wieder, ein wenig tut sie mir leid.
Der Schwarze Gürtel macht noch keine Kämpferin.

Der deutlich größere Mann ist schwerer zu knacken, er setzt auf Konter und seine langen Beine. Das wird spaßig. Normal bin ich die Konternde. Aber ich kann auch voll auf Angriff gehen. Normalerweise kämen nun Mayumi typisch z. B. Tritte zum Knie. Aber das hier ist Sport. Ich will niemand verletzen.
Mein Karate-Stil ist anders, aber das darf ich in einer Prüfung nicht zeigen. Hier wird auf Tradition geachtet.
Aber 1,62 Meter geballte Energie besiegt auch einen Mann, der sich für überlegen hält. Und so einige Techniken im Goyu-Ryu Stil sind mit dem Aikido verwandt.
Muss ich mehr erzählen?

Aus den Augenwinkeln beobachte ich die Reaktionen der Prüfer, die deutlich überrascht und begeistert sind. Mein Vater gestattet sich ein leichtes Schmunzeln.
Vielleicht noch ein Wort über ihn, der immer auch mein Sensei ist. Bei aller Liebe zu mir bleibt er streng, wenn es um Fragen des Karate geht.
Er hat mich nie bevorzugt. Meine Gürtel sind ehrlich erworben, niemand hat sie mir geschenkt.
Und auch an diesem Tag gibt es kein Pardon. Nach Selbstverteidigung, Kampfrichterwesen, Kata, Erklärung der Techniken und intensiven Fragen zum Karate sehe ich die Farbe Schwarz!
Schwarz ist mehr, als nur eine Farbe. Und Schwarz habe ich mir redlich verdient.

Es ist wieder mein Vater, der mir stolz die Urkunde zum 3. Dan überreicht. Und auch einen neuen Gürtel, der nun drei Streifen hat: Sandan, der Grad des anerkannten Schülers, wie es im Karate heißt. Bis zum 4. Dan muss ich nun vier Jahre warten. Vielleicht drei, bei verkürzter Vorbereitungszeit. Und wenn es nach meinem Vater geht, so müssen weitere Grade her. Mein Leben ist so bunt, wie der Regenbogen Farben hat. Selbst graue Tage gehen spurlos an mir vorbei. Aber dieser 6. Dezember ist (m)ein schwarzer Tag. Und das ist richtig gut.

Wer mehr über die Farbe Schwarz lesen möchte, dem empfehle ich folgende Artikel:

Klick mich: Drei Farben Schwarz und Die Farbe Schwarz

 

Die Nebel von Iga – Teil 2

Unsere Reise führt zum Schildkrötenberg, dem übersetzten Namen der Stadt Kameyama in der Präfektur Mie. Ein alter Mann wartet auf uns, den wir Großvater Satoshi nennen. Satoshi hat viele Kanji-Bedeutungen, wird aber meist in Zuammenhang mit Weisheit benutzt. Und weise ist der alte Mann. Das bemerken wir sehr schnell.

Mein Vater hat seinen Besuch schon lange angekündigt und nur Ken und mich als Angehörige mitgebracht. Krieger unter sich. Meine Mutter und Yuki sind im Hotel geblieben. Das war besser so. Satoshi lebt in einem Haus am Stadtrand, in dem die Zeit keine Rolle spielt. Er ist erfreut uns zu sehen. Bisher hat er nichts von unserer Existenz gewusst. Sagt er zumindest. Aber er ist schwer zu durchschauen.

Bei dem Namen des Ahnen winkt er ab.
„Er war nur ein Bauer“, sagt er, „der in Iga Geschäfte machte.“
„Ein kluger Bauer, der das Massaker überlebte“, fügt mein Vater hinzu.
Satoshi nickt und schaut mich dabei an.
Nie zuvor habe ich solche Augen gesehen, der Blick geht bis in die Tiefen meiner Seele.
„Ninja-Frauen hat man man Kunoichi genannt“, sagt er leise. „Sie waren so gut, wie die Männer. Vielleicht sogar noch besser.“
„Kunoichi“, murmele ich. „Das Wort hat man aus dem Kanji für „Onna (Frau)“ gebildet und dafür alle drei Schriften benutzt.“
Satoshi nickt und ich habe verstanden.

Kurz zur Erklärung. Das Kanji für Frau ist 女. Zerlegt man das Zeichen, so ensteht die Hiragana-Silbe ku: く, die Katakana-Silbo no: ノ und das Kanji ichi: 一. Daraus ist Kunoichi gebildet worden. Ist Japanisch nicht einfach toll?

Wir trinken Tee und reden. Aber mehr als ein Austausch von Höflichkeiten scheint es nicht zu sein. Großvater Satoshi ist ein wahrer Meister, das wird mir mit jeder Minute klar. Das Haus ist fast ein Museum, überall Bilder und Schriften. Satoshi war Lehrer und ein geachteter Mann. Seine Frau ist lange tot, seine Söhne sind über das Land verstreut.
„Meine Enkel besuchen mich jedes Jahr“, erzählt er. „Dann berichten sie mir von der Welt. Von fremden Ländern und deren Menschen. Und, wie diese uns Japaner sehen.“
Er schmunzelt bei diesen Worten und mein Vater schaut mich an.
„Die Menschen kämpfen gern“, sagt Satoshi unvermittelt. „Aber sie wissen nicht gegen wen. Sich selbst zu besiegen ist die größte Kunst.“
„Karate ist ein Weg zu Selbstvertrauen und seinem eigenen Ich“, ergreife ich das Wort.
„Ach ja, Karate“, murmelt Satoshi. „Das ist doch dieser China-Stil, der über Okinawa nach Japan kam.“
Und wieder schaut mich mein Vater an. Wir verstehen uns schon immer blind..

Großvater Satoshi hat in seiner Jugend Judo trainiert.
„Eine Hüftverletzung hat mich aber behindert“, sagt er. „Aber Judo als Sport wird überbewertet finde ich.“
Aber es interessiert ihn doch, als die Rede auf unsere Kampfkunst kommt.
„Ja“, sagt er. „Kämpfen ist wohl bei uns Familientradition. Ich würde gern Deutschland besuchen, aber dazu bin ich schon zu alt. Aber einer meiner Enkel war schon dort. Vielleicht kann er euch ja dort mal besuchen.“
„Er ist stets willkommen“, sagt mein Vater.
Satoshi nickt. Familie ist ihm wichtig.

Wir bleiben fast zwei Stunden. Der alte Mann zeigt uns das Haus. Aber wirkliche Informationen bekommen wir keine. Die Nebel von Iga lüften sich nicht völlig an diesem Tag.
Auf dem Weg zum Hotel gibt sich Ken enttäuscht.
„Das war Zeitverschwendung“, findet er.
„Satoshi hat eine ganze Menge gesagt. Frag deine Cousine“, erwidert mein Vater und überlässt mir das Wort.
„Der Ahn hat sich als Frau verkleidet“, erkläre ich, „Nur so gelang es ihm zu überleben. Ein alter Trick der Ninja. Wobei Frauen natürlich wirklich besser sind.“
Ken schnauft gespielt empört. Endlich hat er verstanden. Auch meinen Kommentar.

„Wenn seine Enkel kommen trainiert er sie natürlich“, führe ich die Ausführungen fort. „Sie haben andere Kampfkünste gelernt und mit Ninjutsu kombiniert. Satoshi ist daran zwar interessiert, aber hält wenig davon. Das hat er klar gesagt.“
„Du meinst die Andeutung der Hüftprobleme?“, will Ken wissen.
„Ja“, erwidere ich. „Judo war nur eine Ablenkung. Vermutlich hat er sich heimlich über die Judoka amüsiert. Tritte mag er nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass er sie kann. Und er hält absolut nichts von sportlichen Wettkämpfen. Auch das hat er gesagt.“
„Und die Sache mit dem Enkel?“, will Ken wissen. „Soll das heißen, dass ein Ninja nach Deutschland kommt?“
„So in etwa“, erwidere ich amüsiert. Aber ein klassicher Ninja wird er kaum sein. Ich bin gespannt, wie lange es dauert. Aber glaub mir, er wird sich melden.“
Und genau das ist im November geschehen.

Von einem überraschenden Besuch und einem Blick in die Vergangenheit erzählt Teil 3. Auch, wer die Ninja wirklich waren.

Die Kritik der reinen Vernunft

Vernunft und Unvernunft liegen oft dicht beisammen. Fast möchte man sie Engel, oder Teufel nennen. Und auch in meiner Brust wohnen diese beiden munteren Gesellen, denen ich ausnahmsweise die männliche Form zugestehen mag. In mir hat ein Kampf getobt, der keinen Sieger kennt. Vernunft trifft auf Unvernunft. Wers lesen mag, der folge nun meinen Zeilen. Wer nicht, der gehe seiner Wege. Alles gut.

Was aber ist die Vernunft, was will uns dieses Wort nun lehren? Ich zitiere nachfolgend Immanuel Kant, den vielleicht wichtigsten Philosophen. Bei der Vernunft unterschied Kant zwischen der („reinen“) theoretischen und der praktischen Vernunft. Die theoretische Vernunft ist die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, sich selbst zu prüfen und unabhängig von der Erfahrung zu den apriorischen Vernunftsideen (Seele, Gott, Welt) zu gelangen.

Die theoretische Vernunft hat mich schon immer begleitet. Ich war mir selbst stets die beste Analytikerin. In dieser Funktion liege ich nun mit mir selbst auf der Couch und höre meinen Gedanken zu. Ich hinterfrage mich und meine Ziele. Nie lange und immer sehr direkt. Zögern, das machen nur die anderen. Ich verharre nur kurz und stürme dann davon.

Meine welt ist bunt, geprägt von Elfen, BWL und einem Regenbogen. Die Welt ist, die Dinge sind. Alles was ist nennen wir Seiendes. Auch die alltäglichen Dinge des Lebens. Die können erfreulich, oder nützlich sein. Ein Geschenk, ein Wagen, auch Auto genannt. All dies nennen wir ist. Zu allem was ist verhalten wir uns. Die Frage ist nur wie und warum. Beantworten kann ich die Frage nicht, das konnte Kant viel besser.

Nur hatte Kant mindestens den 10. Dan in seinem Fach, um einen Vergleich mit Karate zu wagen. In der Philosophie bleibe ich die kleine Schülerin. Mit vielleicht einem lichten Moment. Aber es sind Kants Thesen, die ich meisterlich für mich verwende. Seine Worte helfen. Nur, wo hört Kant auf und wo fängt Mayumi an?

Ich habe nachgedacht und das sehr intensiv. Laut Kant ist der Verstand das zentrale Maß aller Erkenntnis. Jede Erkenntnis besteht aus Sinnlichkeit (Wahrnehmung) und Verstand, denn die Sinnlichkeit ist auf den Verstand angewiesen, und der Verstand auf unsere fünf Sinne.

Und auch mir ging ein Licht auf. Nicht plötzlich, kein „Heureka – Ich hab’s!“ Es war ein wochenlanger Denkprozess. Das Ergebnis lest ihr hier. Ich habe mein Verhalten auf den Leistungsprüfstand geschleppt. Mayumi, die Turbofrau. Immer ungebremst durchs Leben. Aber niemals gegen die Wand. Unfälle bauen nur die anderen. Und die haben keine Rennlizenz.

Nach einigen Durchläufen dann die Analyse. Und die Erkenntnis wog schwer. Um den Verstand drehen sich die erkannten Gegenstände. Und zwar so, wie wir sie sehen und nicht wie sie in Wirklichkeit sind. Mein Blick fiel auf Zahlen. Aber Statistiken und Top-Speed als Lebenszweck? Zahlen, Namen, Artikel – ein Blog. Felgen, Motor, Farbe – ein schneller Wagen.

Anders als bei Kant, hat sich mein Verstand um nichts anderes mehr gedreht. Und das habe ich nun klar und mit Vernunft erkannt. Ich habe eine Erfahrung gemacht und eine Erkenntnis gewonnen. Und ich übe Kritik an meinem Verhalten, das von Zugriffen und Schnelligkeit geprägt worden ist.

Die Vernunft kann nur das an der Natur (an Dingen) erkennen, was sie vorher in sie hineindenkt. Blog und Auto haben sich nicht verändert. Sie waren da. Einfach. Aber meine Gedanken sind zu schnell gekreist. Mein Fazit: Langsamer komme ich auch zum Ziel. Was das bedeutet wird die Zukunft zeigen. Bis dahin lese ich den „Kategorischen Imperativ.“ Und ihr habt mich hoffentlich verstanden. Oder etwa nicht?

Die Farbe Schwarz

Schwarz, so heißt es, sei die dunkelste aller Farben. Für viele Menschen gilt Schwarz als Farbe des Todes. Sie steht für die Trauer, das Böse und Bedrohung. Schwarz ist für mich keine negative Farbe. Schwarz steht für Unbezwinglichkeit, Erneuerung, Würde, Macht, Ernsthaftigkeit und Exklusivität.

Schwarz steht auch für den Meistergrad, den 1. Dan im Aikido. Und genau den habe ich am Wochenende erworben. Und das finde ich gut. Die Vorgeschichte finden Interessierte hier KLICK. Schwarz, so heißt es, entstehe beim Fehlen eines Farbreizes im Auge. Warum nur fühlen die sich plötzlich so feucht an? Hat das was mit „Wasserfarben“ zu tun?

Der Schritt war lange überfällig, Techniken und Philosophie habe ich seit Jahren beherrscht. Nur mein Dickkopf hat die Prüfung bisher verhindert. Aber damit ist nun Schluss. Auch ich muss manchmal über meinen Schatten springen. Und auch der ist bekanntlich Schwarz.

Schwarz, so heißt es, sei auch eine Farbe der Macht. Aber ich brauche keine Macht. Wer sich mit Macht und Erfolgen brüstet, der verdient sie nicht. Trotz allem ist der 1. Dan mehr als nur ein Symbol. Für mich ist er Einstieg in die Trainerwelt. Hochoffiziell darf ich nun andere lehren. Und auch das finde ich gut.

Yuki strahlt und fliegt in meine Arme. Auch sie ist geprüft und hat bestanden. Sie trägt nun den braunen Gürtel. Wobei sie gleich mehrere Stufen übersprungen hat. Geht nicht? Geht sehr gut! Der Trainer entscheidet und sie war reif dafür. Auch der ist stolz. Vielleicht hat er auch Angst vor meinem Vater. Der hat sehr ernst geschaut und ist noch viel höher dekoriert.

Stolz hat uns mein Vater Urkunde und Gürtel überreicht. Das hat er sich nicht nehmen lassen. Die Prüfung selbst war kein Problem. Im Gegenteil hat sie richtig Spaß gemacht und ich wieder richtig Lust bekommen, den Weg der Farben zu gehen. Daher ist es entschieden, der 3. Dan im Karate wird dieses Jahr noch folgen. Dann ist es aber gut.

Die Farbe Schwarz, so heißt es, berge Mystisches und Geheimnisvolles in sich. So, wie eine Mondlose Nacht, in der man nicht die Hand vor Augen sehen kann. In gewisser Weise trifft das auch auf die Budo-Welt zu. Mit dem 1. Dan beginnt ein neues Kapitel für den Lernenden. Zwar darf er nun lehren, sein Lernprozess ist aber noch lange nicht zu Ende.

Und lernen will und werde ich. Mein Leben lang. Vielleicht werde ich dann eines Tages auch so gut wie meine Elfe sein, die mir im Kissenwurf und im Lächeln deutlich überlegen ist. Da hat sie mindestens einen 10. Dan. Ob das an ihren schwarzen Haaren liegt?

Schwarz, so heißt es, sei die dunkelste aller Farben.
„Schwarz“, flüstere ich Yuki zu, „ist die schönste aller Farben.“
Sie lacht und sie versteht.

Drei Farben Schwarz

Mit dem Ttel des Artikels lehne ich mich an drei Filme an, die ab 1993 für Furore sorgte. Es sind die Filme „Drei Farben: Blau / Weiß / Rot.“ Aber ich drehe keinen Film. Ich schreibe lediglich über mein Leben. Und dem habe ich beschlossen eine weitere Farbe zu geben. vor mehr als zehn Jahren habe ich mit dem Farbenrausch aufgehört und keine Prüfungen mehr in Karate und Aikido gemacht. Das soll nun wieder anders werden und das hat einen Grund.

Im Karate habe ich den 2. Dan, den zweiten Schwarzen Gürtel. Mehr braucht kein Mensch. Aber mit dem 1. Dan darf ich lehren und das kann ich richtig gut. Vor allem Frauen und Kinder. Im Aikido habe ich keinen Meistergrad. Zumindest nicht auf dem Papier. Aber ich mag auch in dieser Sportart lehren. Und ein 1. Dan gehört dazu.

Yuki wird mich wie immer unterstützen und auch eine Prüfung machen. Aber vom 1. Dan in Karate, oder Aikido ist sie noch ein ganzes Stück entfernt. Aber niemand sollte meine Elfe jemals unterschätzen. Auch ohne Gürtel ist sie gut.

Im Unterschied zu mir ist für sie alles Spaß und Spiel. Sie scheint die Techniken zu tanzen, so zumindest sieht das bei ihr aus. Ich dagegen schlage zu. Dynamik gegen Eleganz. Als Duo unschlagbar. Zwei Seelen, eine Idee. Natürlich ist mein Papa begeistert, als ich ihm die Neuigkeit erzähle. Er wird mich gründlich vorbereiten und bei der Prüfung anwesend sein.

Im Aikido gibt es normalerweise keine Gürtel. Dort trägt man nur Oberteil und Hosenrock. Der 1. Dan wird lediglich symbolisch verliehen. Auch, wenn man das in Europa und Amerika ganz anders sieht. Aber was interessieren mich westliche Neuerungen, wenn ich einen japanischen (Groß)Meister zum Vater habe?

Der Sinneswandel kommt nicht von ungefähr und hat sich schon länger angedeutet. Linda hat Anteil an meinem neuen Denken. Sie braucht eine Trainerin. Und für immer will ich meine freie Zeit nicht in getunten Autos verbringen. Das macht Spaß und auch durchaus Sinn. Nur eben nicht auf Dauer. Da fehlt mir dann der Faktor Mensch.

Um Geld geht es dabei nicht. Das kann ich anders besser verdienen. Aber Frauen und Kindern zu helfen ist mir wichtig. Und da gehört auch Training mit dazu. Es fördert Fitness, aber auch den Geist. Und es ist gut gegen jede Art von Gewalt. Klassisches Aikido werde ich nicht unterrichten. Mein Stil wird angelehnt an Daitō-ryū Aiki-jūjutsu sein. Und das ist mit Jiu Jitsu verwandt.

Nach der Aikido-Tradition wird Kindern Aikido erst ab vierzehn Jahren vermittelt. Und das halte ich für falsch. Aber ich halte so einige Sachen der traditionellen Meister für überholt. Selbstverteidigung hat sich verändert, was zum Glück auch Linda so sieht. Zwar sind Traditionen wie Meditation durchaus wichtig, sie fördern die Konzentration. Aber im Straßenkampf gilt es blitzschnell zu reagieren.

Vielleicht werden sich nun viele LeserInnen fragen, wann ich das alles machen will. Und was aus meinem Wing Chun Training wird. Die Antwort ist so einfach, wie unkompliziert. Zur Zeit haben wir Semesterferien und ein Studium dauert kaum den ganzen Tag. Auch im Wing Chun strebe ich die Lehrerwürde an. Aber bis zu dem Tag ist es noch etwas hin.

Mir ist schon mehrfach die Frage gestellt worden, wie ich die drei Stile kombiniere. Von unmöglich war die Rede und dass ich niemals so gut sein könne, wie ein Meister in nur einer Sportart. Für diese Aussage habe ich nur ein japanisches Lächeln. Denn es geht sehr gut. Nur fehlt vielen Leuten genau dieses Talent.

Drei Schwarze Gürtel sind keine Besonderheit. Mein Papa hat noch einige mehr. Für mich sind sie lediglich Farben. Für ihn ein tieferer Sinn. Den kann ich sehen, mag aber seinen Weg nicht gehen. Aber der Geist des Budo lebt auch in mir. Ich bin eine Regenbogenkriegerin.