Interviews zu führen macht eine Menge Spaß. Bekanntlich haben wir das schon öfter gemacht und selbst ich war ein dankbares Opfer. Interviewt hatten mich damals meine Frau und meine beste Freundin. Jetzt drehe ich den Spieß um und Frau Dr. Karin Sommer muss Rede und Antwort stehen.
Um fair zu bleiben überlasse ich Yuki die Fragen. Ich kenne Karin viel zu gut. Zwar haben wir das Interview gemeinsam geschrieben, aber hinter „Ich“ verbirgt sich nun meine Frau. Wieder haben wir auf allzu persönliche Dinge verzichtet. Die sind und bleiben privat.
Yuki scheibt: Karin Sommer, ist eine besondere Frau für mich. Sie ist Mayumis beste Freundin und spielt auch in meinem Leben eine große Rolle. Ich kann sie nämlich über meine Süße ausfragen, was zu Beginn unserer Beziehung immens geholfen hat. Mit Insiderwissen kocht man jeden Eisblock weich. Yumis gespielt bösen Blick ignoriere ich gekonnt. Die Dicke hat jetzt Sendepause.
Vor mir sitzt eine Frau, die keinem Klischee entspricht. Schon lange hat Karin die kurzen Haare gegen eine wilde Mähne getauscht. Nur bei den Kleidern bleibt sie eigen. Der Hosenanzug passt ihr wie angegossen. Aber zu Hause mag sie es leger. „Wartet mal eben, ich ziehe mich schnell um“, ruft sie und ist ins Schlafzimmer verschwunden.
„Das kann jetzt dauern“, lästert Yumi, die ihre beste Freundin kennt. Doris, Karins Frau nickt. „Die Ärmste hat nie etwas anzuziehen.“ „Ich habe das gehört!“, kommt es von nebenan und nun müssen wir alle herzlich lachen. Mit ihren Töchtern im Gefolge taucht Karin in Jogginghosen und T-Shirt wieder auf. Doris ist die leibliche Mutter, was man auch deutlich sieht. Karin liebt die beiden Mädchen abgöttisch. Und natürlich ihre Frau.
Familie, Haushalt, Kinder, die beiden managen das wirklich gut. Doris ist nach der Geburt zu Hause geblieben und arbeitet nun von dort aus wieder halbtags als Juristin. Karin ist zur Zeit noch Account Managerin in einer Bank, hat aber schon über die Selbstständigkeit nachgedacht.
„Ich möchte mehr Zeit für meine Familie“, erklärt sie. „Die beiden Süßen sind nur einmal jung.“ Ihre Töchter lachen frech und sind wieder in ihre Zimmer verschwunden. Vorher nehmen sie uns noch das Versprechen ab, mit ihnen Karate zu üben. Auch auf sie ist der Virus übergesprungen.
Karins Willensstärke hat sie zu der Frau gemacht, die sie heute ist. Und ihr Kontakt zu Yumi. Aber darum geht es heute nicht. Ich will etwas anderes wissen. „Sag, Karin“, beginne ich, „wie war das damals bei dir, wann hast du gewusst, dass du lesbisch bist?“
1,78 Meter Verlegenheit schauen mich an und Yumi kann nicht mehr vor Lachen. Sie hat mich zu dieser ersten Frage gebracht, um ihre Freundin zu schocken. „Ihr seid so doof!“, sagt Karin und lacht dann mit. „Ich habe das schon immer gewusst. Wobei gewusst der falsche Ausdruck ist. Ich war immer schon anders.“
Anders zu sein, hat sich bei Karin früher in schrillen Klamotten ausgedrückt. Erst war sie Punk, dann Gothic Chick und später trug sie nur noch Leder. Und einen Irokesenschnitt hatte sie einst auch. Und anders ist sie immer noch. Eine Powerfrau, die doch schwache Momente hat.
„Oh sei bloß still damit!“, sagt Karin, als sie sich erinnert. „Das war so eine Phase, die lange vergessen ist.“ „Ich mag ihre langen Haare viel besser“, sagt Doris und zerzaust sie ihr. „Jetzt schau dich nur an“, stichelt Yumi sofort, „voll die Schlampe!“
Karin wirft ihr bitterböse Blicke zu und schmollt. Aber das ist alles nur Spaß, den Außenseiter kaum verstehen. „Ich war lange eine Einzelgängerin“, erzählt Karin. „Meist habe ich in der Schule abseits gestanden und geraucht. Cool sein war damals in!“ „Wie jetzt, damals?“, will Yumi wissen. „Du bist doch meine Lieblings Butch.“
Ich muss stets lachen, wenn meine Süße solche Bemerkungen macht. Sie kommen, wie aus der Pistole geschossen. Aber nicht jeder kann mit ihrem Humor. Wobei der nie böse ist. Aber manche Menschen haben das Lachen verlernt.
„Wann hattest du dein Coming Out?“, frage ich. „Und war es schwer für dich?“ Karin nickt langsam. „Ja“, sagt sie. „Ich muss so 15 gewesen sein, als ich auf der Klassenfahrt dieses zwei Jahre ältere Mädchen traf. „Es hat bei mir eingeschlagen wie ein Blitz und wir haben uns die ganze Nacht geküsst.“
Nun ist es bei Frauen nicht so ungewöhnlich, dass sie im gleichen Bett schlafen, oder die beste Freundin küssen. Meist um für Mann zu üben. Karin schüttelt energisch den Kopf. „Ich hatte nie was mit Mann!“, sagt sie bestimmt. „Nach dieser Nacht wusste ich, was ich bin und habe mich meiner Mutter anvertraut.“
Was so einfach klingt, ist meist ziemlich kompliziert. Karin hat es sich nicht leicht gemacht. „Ich ahnte es schon früher“, fügt sie noch hinzu. „Aber ich konnte es noch nicht in Worte fassen. Und mit wem redest du darüber? Ich habe mich geschämt.“
Viele Eltern sind entsetzt, wenn ihre Kinder sich als schwul, oder lesbisch outen. Wer Karins Mutter kennt bekommt schnell eine Idee davon, wie diese Frau tickt. Alleinerziehend, ohne Mann, war sie mehr der burschikose Typ. Nie ungerecht, aber doch recht dominant, hat sie die kleine Familie ernährt.
„Meine Mutter ist mir sehr ähnlich“, erzählt Karin. „Oder ich ihr. Ich hatte ziemliche Angst, es ihr zu sagen. Geredet haben wir immer. Nur hatte sie viel zu wenig Zeit. Ständig auf Achse, Termine, Konferenzen. Als kleines Mädchen, war zum Glück noch meine Oma für mich da. Später war ich oft allein, das durfte aber keiner wissen.
Als ich nach Hause kam und beichtete, hat meine Mutter tief Luft geholt und sich gesetzt. Ich hatte echt Angst, dass sie böse auf mich ist. Aber sie hat mich einfach ganz fest gedrückt.“
Karins Augen schimmern feucht, als sie sich erinnert. In der Regel haben Frauen weniger Glück bei ihren Eltern. Karin putzt sich das Näschen. Plötzlich fühle auch ich einen Kloß im Hals. Nur Yumis Gesicht bleibt ausdruckslos. Sie hat eine Disziplin, die selbst meiner überlegen ist.
„Ach Süße, hat meine Mama damals gesagt“, fährt Karin fort, „ich wusste das schon immer. Aber du musstest es mir sagen, ich konnte da wenig tun. Aber der Hammer kam einige Tage später, als wir uns intensiver mit dem Thema befassten. Ich habe dir auch etwas zu beichten, sagte sie. Und hat mir ihre Freundin vorgestellt.“
Im zweiten Teil plaudert Karin weitere Details aus. Auch über Mayumi. Stay tuned, wenn es wieder heißt: Gestatten, Dr. Sommer!